Taba Keutcha 2016Taba Keutcha hat mit seinem Buch „Sanggo der Waisenjunge“ ein spannendes Märchen geschaffen. Dazu hat er sich bereiterklärt, Lazy Literature ein paar Fragen zu beantworten. (Foto: Copyright Vielfalt Verlag)

Ihr Buch “Sanggo der Waisenjunge” liest sich wie ein Märchen. War das beabsichtigt und weshalb haben Sie gerade diese Form der Erzählung gewählt?

Wenn man allgemein mit Menschen über Rassismus oder Diskriminierung spricht, die Diskriminierung selbst nicht erfahren haben, merkt man häufig, dass man nur schwer verstanden werden kann. Ich sah für mich eine gute Möglichkeit darin, die Botschaft in einer Form zu verfassen, die für jeden Menschen unabhängig von Alter, Kulturkreis usw. leicht zugänglich ist. Es war für mich wichtig, dass die Geschichte an einem weit entfernten Ort stattfindet und dass der Grund für die diskriminierenden Verhaltensweisen im Buch für jeden nachvollziehbar ist: Jeder wird früher oder später in seinem Leben mit dem Tod seiner Eltern oder anderer wichtiger Familienmitglieder konfrontiert. Außerdem habe ich Elemente überlieferter Erzählkunst aus meiner Heimat der Bamiléké in Westkamerun in die Geschichte übernommen. Ich erinnere an bis heute bestehende Aspekte des traditionellen Lebens, der Heilkunst, Wirtschaft und Religion.

Was hat Sie zu der Zusammenarbeit mit Marco Scanga gebracht und wie hat sie sich gestaltet?

Auf der Suche nach einer geeigneten Illustrator/in gerieten wir über eine Empfehlung an die Akademie Leonardo in Hamburg, die nach Durchsicht des Manuskripts sofort von der Botschaft des Buches und dem damit verknüpften gesellschaftlichen Auftrag begeistert war. Marco Scanga, der gerade im Begriff war, seine Abschlussprüfung an der Akademie zu absolvieren, bekam die Aufgabe, „Sanggo“ im Rahmen seiner Examensarbeit zu illustrieren. Marco hat es geschafft, sich auf besondere Weise in die Geschichte einzufühlen – seine Bilder verleihen dem Buch die nötige Wärme und Emotionalität. Die Umsetzung der Bebilderung wäre jedoch ohne die stetige Unterstützung seitens der Akademie in Person von Steffi Sternberg und Gerd Krenckel nicht möglich gewesen. Ihnen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Marco und ich befinden uns in häufigem Kontakt. Ende letzten Jahres besuchte er einen meiner Workshops mit Schüler und Schülerinnen in Hamburg.

Taba Keutcha / Marco Scanga – Sanggo der WaisenjungeWie empfinden Sie die Vorträge, die Sie bisher vor Schülern gehalten haben, und welche Themen interessieren die Jugendlichen dabei besonders?

Die Workshops und Vorträge, die ich derzeit u.a. zu den Themen Vielfalt, Flucht, Migration und Fair Trade für und mit Kindern und Jugendlichen durchführe, machen mir persönlich nicht nur großen Spaß, sondern sind auch  notwendig und wichtig. Wir erleben eine Zeit, in der der Umgang mit und Ressentiments gegenüber Migranten und Migrantinnen tagtäglich diskutiert werden. Ich bekomme diese Stimmungen auch privat immer wieder zu spüren. Vor diesem Hintergrund interessieren sich die Jugendlichen besonders für die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kulturen, die Lebensbedingungen in den Heimatländern der Migranten und Migrantinnen und Fluchtursachen sowie die Frage, wie ein Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten und Migrantinnen gelingen kann. Mein Ansatz dabei ist es, Flucht und Migration in einen historischen, globalen und wirtschaftlichen Kontext zu setzen. Im Grunde bediene ich mich der gängigen Vorurteile, Stereotype, Klischees und im Umlauf befindlichen Nachrichten und erzähle die dazugehörigen Geschichten aus meiner afrikanischen Perspektive neu. Es entsteht so eine andere Sichtweise auf die Themen, die sowohl für die Kinder als auch das Lehrpersonal sehr bereichernd ist. Jedenfalls freut es mich, dass ich regelmäßig so positives Feedback zu meinen Einsätzen bekomme.

Was ist Ihnen für Ihre Leser, die das Buch lesen, besonders wichtig?

Das Buch soll die Leserinnen und Leser dazu anregen, über den Sinn und Nutzen der Vielfalt in unserer Gesellschaft nachzudenken. Jeder Unterschied ist ein Potential, jede Diskriminierung dagegen ein Potentialverlust. Das ist einer der Kerngedanken meines gesamten sozialen Engagements. Die Geschichte gibt Menschen, die selbst (noch) keine Diskriminierung erfahren haben die Möglichkeit, sich in eine diskriminierte Person hineinzuversetzen. An dieser Stelle setze ich an, wenn ich Sanggos Geschichte quasi als Lehrmaterial in meinen Workshops verwende. Sie stellt ein für alle leicht verständliches Gleichnis für die Mechanismen und Folgen diskriminierender Verhaltensweisen dar, zeigt aber auch Lösungsansätze auf.

An welchen Projekten arbeiten Sie gerade, und wird es Nachschub für Ihre Leser geben?

Derzeit beschäftige ich mich mit mehreren Projekten in unterschiedlichen Stadien. Zum einen bearbeite ich einen selbst gedrehten Dokumentarfilm, in dem ich Kinder beim gemeinsamen Spiel in Kamerun festgehalten habe. Damit möchte ich Alltagsaspekte zentralafrikanischen Lebens sichtbar machen, die in den hiesigen Medien weitestgehend unterrepräsentiert sind. Zum zweiten plane ich eine weitere Workshop- und Vortragsreihe über Vielfalt und Migrations- und Fluchtursachen mit Kindern im Rahmen der Vereinsarbeit von Equilibre International e.V. Nachschub für die Leser wird es in Form von „Ngaka und der Löwe“ geben, die Fabel eines Heilers aus meiner zentralafrikanischen Heimat, der – nur so viel sei verraten – den durch menschliche Zerstörung verursachten Zorn der Tier- und Pflanzenwelt am eigenen Leib zu spüren bekommt. Außerdem freue ich mich auf viele zukünftige Einladungen zu Vorträgen und Workshops mit den Themen Vielfalt, Flucht, Migration, Empowerment, Rassismus und interkulturelle Bildung sowie natürlich Lesungen aus „Sanggo“.

Welche Autoren lesen Sie selbst gerne?

Dale Carnegie und seine Bücher haben mich immer beeindruckt. Von ihm habe ich gelernt, immer zu versuchen, mich in andere Menschen hineinzuversetzen – eine der wichtigsten menschlichen Eigenschaften in allen Bereichen. Meiner Meinung nach sollten viele seiner Ansätze, ebenso wie die Lehre der Vielfalt, zur Grunderziehung der Menschheit gehören.

Was möchten Sie den Lesern noch mit auf den Weg geben?

Setzen Sie sich für die Dinge ein, die Sie bewegen! Ich wünsche mir mehr Menschen, die Zivilcourage zeigen und soziales Engagement beweisen. Und bleiben Sie im Dialog! Wir Menschen reden allgemein viel zu wenig miteinander. So lassen sich aber die Ursachen und Gründe für ein bestimmtes Handeln nicht verstehen, wir verharren in unseren eigenen Ansichten, Vorurteilen und Klischees. Nur wenn wir alle mehr miteinander reden, lässt sich auch eine bessere interkulturelle Gesellschaft verwirklichen.

Vielen Dank für das Interview!