Niels Pfläging ist ein bekannter Autor und Speaker, der in aller Welt herumreist. Für Lazy Literature hat er sich in seinem dicht mit Terminen besiedelten Tagesablauf
einige Momente Zeit genommen und einige Fragen beantwortet. (Foto: Copyright Niels Pfläging)
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben.
Sie haben sich bereits weltweit einen Namen gemacht. Wie hat es angefangen, dass Sie nun Bücher über Führungsthemen und Organisationsmanagement schreiben?
Begonnen hat das 2001, also vor etwa 13 Jahren. Damals war ich als Controller bei einem deutschen Konzern in Sao Paulo angestellt. Ich hatte in jenen Jahren im Management verschiedener Unternehmen, speziell im Qualitäts- und Finanzmanagement, die Erfahrung gemacht, dass die meisten Manager hochintelligent sind – die Unternehmen aber überhaupt nicht. Das Management-Instrumentarium, das ich kennen gelernt hatte und mit dem ich tagtäglich arbeitete – die Praktiken, die Rituale, die Art wie Entscheidung getroffen, Projekte gemanagt und Dinge umgesetzt wurden – all das funktionierte nicht. Angefangen bei den Meetings, bei der Jahresplanung, den Investitionsentscheidungen, bis hin zum Berichtswesen, der Kostentransparenz oder den IT-Systemen. Irgendwie war das alles wahnsinnig aufwendig, ineffektiv und dysfunktional. In anderen Unternehmen lief es nicht besser, wie ich rundherum in Gesprächen mit Manager-Kollegen aus Deutschland und Brasilien immer wieder hörte.
So fing ich an, mich mit Alternativen zur klassischen Unternehmenssteuerung auseinander zu setzen. Dabei bin ich sehr schnell auf die Arbeit eines zunächst recht exotisch erscheinenden Think Tanks aus England gestoßen. Der beschäftigte sich mit Unternehmensführung ohne Budgets, ohne Planung, traditionelle Ziele und Bonussysteme. Zunächst fand ich unglaublich, was die behaupteten: Nämlich dass es Unternehmen gab, die seit Jahren oder Jahrzehnten ganz ohne Zielvorgaben und Budgets auskamen – und dabei sehr erfolgreich waren! Das konnte eigentlich nicht funktionieren, jedenfalls nicht in der Logik eines BWLers, Managers oder Controllers. Ich fand das jedenfalls erst einmal unvorstellbar. Mit der Zeit habe ich mich dann von der Stichhaltigkeit dieser Idee überzeugen können.
Im Jahr 2003 bin ich selbst Direktor der Beyond-Budgeting-Forschungsinitiative geworden, bin ins Beratungsfach gewechselt und habe mein erstes Buch „Beyond Budgeting, Better Budgeting“ veröffentlicht. Das war das erste deutschsprachige Werk zu diesem Thema und es entwickelte sich schnell zum meistgelesenen Buch in diesem Feld.
Später sind wir in unserer Forschung darauf gestoßen, dass die Wurzel des Problems noch tiefer liegt: Dass die Sozialtechnologie Management die Wurzel des Übels ist, dessen Symptome – Bürokratie, Erstarrung, Demotivation – man in so vielen Organisationen beobachten kann: Mangel an Innovations- und Veränderungsfähigkeit, Vertrauen, Produktivität und wenig Spaß an der Arbeit – alles Ausdruck des gleichen Grundproblems. Nicht Manager oder Mitarbeiter oder Umsetzung sind das Problem – sondern unsere überkommenen Vorstellungen von Führung, Organisation, Strukturen und Motivation.
„Organisation für Komplexität“ ist mein viertes Buch zu diesem Themenfeld.
Ihre Bücher werden in verschiedene Sprachen wie Russisch oder Koreanisch übersetzt. Wie kam es dazu?
Mein erstes Buch traf damals einen Nerv – es gab zu jener Zeit ein ausgesprochen lebendiges Interesse am Thema Beyond Budgeting. Zudem wurde das Buch von Rezensenten in den höchsten Tönen gelobt und vor wenigen Jahren sogar in einem Kompendium der 100 besten Wirtschaftsbücher aller Zeiten gewürdigt. Eine Übersetzung dieses Buches ist leider nicht zustande gekommen. Mein zweites Buch „Führen mit flexiblen Zielen“ gewann dann gleich nach der Veröffentlichung den Wirtschaftsbuchpreis 2006 und wurde zu einem echten Bestseller. Dieser Erfolg hat dazu geführt, dass verschiedene Übersetzungen möglich wurden. Mein drittes Buch ist zu meiner Überraschung auf Koreanisch erschienen und hat dort sehr breite Resonanz gefunden. Was ich bis dato nicht wusste: In Korea gibt es eine sehr rührige und professionelle Verlagsszene, eine sagenhaft lern- und lese-affine Bevölkerung, sowie großes Interesse an modern gemachten Sachbüchern.
Insgesamt ist es aber nicht einfach, als deutscher Autor übersetzt zu werden bzw. Verlage im Ausland für die eigenen Werke zu finden. Insbesondere Übersetzungen ins Englische sind ja äußerst selten: Kürzlich las ich, dass es jährlich nur gut ein Dutzend deutscher Bücher in den US-Markt schaffen. Das ist schon recht ernüchternd.
Bei „Organisation für Komplexität“ habe ich mich darum auch entschlossen, mein Geschick noch stärker in eigene Hände zu nehmen. Ich wollte ohnehin ein Business-Buch in einem ungewöhnlichen Format machen – mit Illustrationen, kurzweilig, unterhaltsam, quadratisch, handlich. So etwas ist mit deutschen Verlagen schwer zu realisieren! Letztlich habe ich mich entschlossen, das Buch selbständig zu publizieren, über die Self-Publishing-Plattform BoD, ohne klassischen Verlag im Hintergrund. Das hat mir mehr Kontrolle über mein Werk gegeben als je zuvor. Es hat großen Spaß gemacht, das Buch nicht zur zu schreiben, sondern auch Preissetzung und Design in der Hand zu haben, eine Marketing-Kampagne dafür zu entwickeln. Oder auch, das Buch gleichzeitig als Taschenbuch, als Hardcover und als E-Book veröffentlichen zu können. Noch im ersten Halbjahr dieses Jahres wird das Buch auch auf Englisch, Spanisch und Portugiesisch erscheinen. Alles im Selbstverlag und weltweit. Wenn alles gut geht und sich Freiwillige für die Übersetzungsarbeit finden, kommen vielleicht noch ein paar Sprachen hinzu.
Auf Ihren Reisen kommen Sie sehr weit herum. Welches Land hat Sie bisher am meisten beeindruckt?
Es sind wahrscheinlich die Länder, in denen ich bisher gelebt habe, für die ich besonders viel empfinde. Das sind neben Deutschland Spanien, Argentinien und Brasilien gewesen. In Sao Paulo habe ich 12 Jahre lang meinen Lebensmittelpunkt gehabt – diese Zeit hat mich stark geprägt, Brasilien ist natürlich so etwas wie eine zweite Heimat für mich geworden. Beruflich bin ich in über 30 Ländern als Berater und Speaker unterwegs gewesen – mir fällt es aber immer schwer, darunter ein einziges Land zu nennen, das mich nicht irgendwie berührt hätte.
Ich finde, jedes Land eröffnet eine Perspektive, einen spezifischen Blick auf die Menschen, Kultur, Wirtschaft. Aber die spanischsprachige Welt und insbesondere Lateinamerika haben es mir besonders angetan. Seit etwa drei Jahren habe ich nun einen Wohnsitz in New York – das empfinde ich als ein großes Abenteuer und eine Leidenschaft. Die USA intim kennen zu lernen, historisch und kulturell, dort zu reisen, aber auch zu arbeiten, das ist für mich von besonderem Reiz und hat mir nochmals einen ganz anderen, erweiterten Blick auf die Welt eröffnet.
Sie sprechen vier Sprachen – Englisch, Deutsch, Spanisch und Portugiesisch – fließend. Welche Sprachen würden Sie gerne noch lernen und weshalb?
Diese Wahl fällt mir nicht schwer. Eine Sprache, die ich sicher noch lernen möchte, ist das Russische. Zum einen darum, weil diese Sprache einen ganz anderen Sprach- und Kulturraum erschließt. Zum anderen, weil Schrift und Sprachlogik des Russischen so ganz anderes funktionieren als diejenigen der Sprachen, die ich bereits beherrsche. Das bringt die Hirnzellen auf Trab. Ich warte aber noch nach einem guten Anlass, mit dem Lernen anzufangen.
Arbeiten Sie gerade an einem weiteren Buch? Falls ja, um welches Thema wird es dann gehen?
Das nächste Buch ist bereits in Arbeit. Es wird ein klassisches Sachbuch werden und bei einem klassischen Verlag erscheinen. Thematisch wird es den Bogen weiter in die gesellschaftliche Sphäre spannen als meine bisherigen Bücher zu Organisation und Führung. Es wird darum gehen, dass wir vor einer dramatischen Neuerfindung, einer wahren Renaissance der Arbeitswelt stehen – und inwiefern die Weichen für diese Renaissance bereits vor 100 Jahren gestellt wurden.
„Organisation für Komplexität“ fasst komplexe Themen anhand von Schlagworten zusammen. Wie kamen Sie auf diese Idee und an wen wenden Sie sich mit dem Buch vor allem?
Im Grunde ist dieses Buch eine Quintessenz neuer, zeitgemäßer BWL und Unternehmensführung. Das Buch nähert sich dem Denken über Menschen in Arbeit, über Organisationen und Führung mithilfe von textlich äußerst knapp und darüberhinaus visualisiert dargestellten Denkwerkzeugen oder „praktischen Theorien“. Die Denkwerkzeuge helfen, Organisation für eine dynamische Welt zu fassen und auf zeitgemäße Weise mit den in arbeitsteiliger Organisation entstehenden Phänomenen umzugehen. Dabei braucht man notwendigerweise andere Begriffe, als die traditionelle, auf Industriezeitalter-Paradigmen beruhende BWL sie kennt.
Neben den Denkwerkzeugen und Begriffsunterscheidungen spielen in diesem Buch die Illustrationen eine herausragende Rolle. Bei der Arbeit an meinem letzten Sachbuch, „Die 12 neuen Gesetze der Führung“, hatte ich schon die Idee gehabt, das Thema Führung mithilfe von Zeichnungen darzustellen. Damals fehlte mir aber eine konkrete Vorstellung, wie derartige Grafiken konkret ausschauen könnten.
Vor zwei Jahren bin ich dann über das Power-Point-Material eines holländischen Beraters gestolpert, der seine Vorträge mit handgezeichneten Grafiken untermalte. Er benutzte Smileys und kleine skizzierte Köpfe, einfache, bunte Strichzeichnungen von Objekten und Metaphern. Das war die Lösung – mit solchen Zeichnungen würde sich auch das Thema Führung darstellen lassen! Der Kollege war so freundlich, mir seine Zeichnungen auf Anfrage hin zur Verfügung zu stellen. Mit Hilfe dieser verfremdeten und modifizierten Skizzen ist dann ein frei verfügbares, englischsprachiges Paper entstanden. Der große Zuspruch, den das Paper fand, führte ein Jahr später zu der Idee, das Material als Buch in deutscher Sprache zu veröffentlichen – aber erweitert um zusätzliche Inhalte. Ein Glücksgriff war dann, dass ich die junge Grafikerin Pia Steinmann gefunden habe: Sie hat alle Illustrationen neu und noch ansprechender gezeichnet und mit mir gemeinsam für das Buch viele zusätzliche Motive entworfen.
Lesen Sie auch in Ihrer Freizeit? Falls ja, welches Buch hat sie in letzter Zeit besonders begeistert?
Ich lese ständig Bücher. Seit ich teilweise in New York lebe kaufe ich noch mehr als früher schon – insbesondere englischsprachige Business-Bücher und Literatur zum Thema Bildung. Zwei Sachbücher, die mich in 2013 besonders beeindruckt haben, waren „Teaching Naked“ von José Bowen, das sich mit den bevorstehenden Umwälzungen in der Hochschulbildung beschäftigt. Und „Hoppla, ich habe Ihre Firma versenkt!“ (I’m sorry I broke your company) von Karen Phelan, eines der cleversten Businessbücher des Jahres, das in der Zwischenzeit auch auf deutsch erschienen ist. Zwischendurch lese ich auch den einen oder anderen Roman, zuletzt „Die Leichtfertigen“ meines französischen Lieblingsautors Philippe Djian.
Wie organisieren Sie sich, um alle Ihre verschiedenen Termine unter einen Hut bringen zu können?
Überwiegend ganz einfach per Outlook-Kalender. Ich bin da relativ wenig technologisch innovativ unterwegs. Nicht so einfach ist es manchmal, bei Terminanfragen „nein“ zu sagen…
Sie geben sehr viele Workshops. Was gefällt Ihnen daran besonders?
Als Redner stehe ich gerne auf der Bühne und spreche leidenschaftlich gern vor vielen Zuhörern – auch vor hunderten, wenn das gefragt ist. Am kleinen Format gefällt mir dagegen besonders die Vielfalt der Interaktionen, die Dynamik und Dichte in kleinen Gruppen und die Möglichkeit, intensive Denk- und Veränderungsprozesse anzustoßen. Im Laufe der letzten zehn Jahre habe ich ein Händchen dafür entwickelt, auch heikle, schwierige und auf der Hinterbühne blockierende Organisations-Themen anzusprechen und bearbeitbar machen zu können. Für Unternehmen ist das wertvoll und auch entscheidend, um notwendige Veränderung zu erzeugen.
Daneben habe ich auch mein Herz für die Interaktion mit Studenten in der Business-Ausbildung entdeckt. Seit ein paar Jahren lehre ich zum Thema Führung, Komplexität und Veränderung an diversen Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und genieße es, Studierenden sowohl inhaltlich als auch didaktisch neuartige Lernerfahrungen zu ermöglichen.
Vielen Dank für das Interview.
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