Kompakt

„If you’d come today you would have reached a whole nation, Israel in 4 BC had no mass communication.“ – Dieses Zitat aus der Rockoper „Jesus Christ Superstar“ zeigt am besten, was Niven mit seinem Buch gelungen ist: Was wäre, wenn Jesus heute kommen würde? Mit Sicherheit würde er anders vorgehen, doch sein Charakter bleibt der Gleiche. Genau diese Liebenswürdigkeit und Güte fängt Niven mit seinem Werk ein, das zwar vor Flüchen und Joints nur so strotzt, aber sehr viele denkwürdige Momente besitzt, die nach der Lektüre nachhallen und zum Nachdenken anregen. Ein Buch, das in keiner Bibliothek fehlen sollte.

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Originaltitel The Second Coming
Autor John Niven
Übersetzung Stephan Glietsch und Jörn Ingwersen
Verlag Heyne Hardcore
Erschienen August 2011
ISBN 978-3-453-67597-1
Seitenanzahl 400 Seiten

Inhalt

Bei seiner Rückkehr von seinem einwöchigen Angelausflug muss Gott erkennen, dass unten auf der Erde nicht mehr die Renaissance herrscht, sondern das 21. Jahrhundert und die Menschen den Planeten an den Rand des Abgrunds gefahren haben. Nach intensiven Überlegungen bleibt nur eine Lösung: Jesus muss es richten. Also wird Sohnemann hinabgeschickt – natürlich stilecht mit Jungfrauengeburt: „Gott ist oldschool.“ (S. 69) – und soll Gottes einziges Gebot predigen: Seid lieb. Um möglichst viele zu erreichen, nimmt er an einer Castingshow teil, denn wie kann man besser an die Menschheit herantreten, als über das Fernsehen? Es bleibt die Frage, ob die Menschen inzwischen dazugelernt haben oder ob sich die Ereignisse von vor 2000 Jahren wiederholen werden.

Stil und Charaktere

Unorthodox, vulgär und frech – John Niven besitzt einen äußerst eingängigen Schreibstil, der sich runterliest wie nichts. Religiöse Leser könnten sich an den sehr freizügig eingestreuten Flüchen, dem ständigen Kiffen und der Kritik an Religion und dem Papst stören. Der Rest, der offen genug für neue Sichtweisen ist, darf sich auf einen grandiosen Roman freuen, der von der ersten Seite an fesselt. Durchgängig gibt es einen allwissenden Erzähler, der im Präsens berichtet und gerne vorgreift und Andeutungen macht.

Bereits der erste Teil, der im Himmel spielt, als Gott von seinem Ausflug zurückkehrt, ist äußerst unterhaltsam. Die Party-Stimmung der himmlischen Truppe reißt mit und zeigt deutlich, wie Gott die ganze Sache sieht – angefangen bei einem Wutanfall wegen Moses, der das einzig wahre Gebot „Seid lieb“ in zwölf sehr konfuse und abwegige ausgeweitet hat: „All diese gruseligen Vorschriften über so kranken Scheiß, wie zum Beispiel, den Ochsen seines Nächsten zu begehren? Wozu sollte das gut sein? Was hatte der Dreckskerl sich davon versprochen, alles mit einer gehörigen Portion Schmuddelsex aufzupeppen?“ (Seite 30). Gott ist dabei ein wundervoller Charakter. Er säuft und kifft wie verrückt und ist dennoch ein absolut grandioser Kerl. So stellt man sich einen liebevollen Vater vor, der sich um die Menschheit Sorgen macht und ihr nur Gutes will. Seine Reaktion auf die letzten Jahrhunderte Geschichte besteht aus Trauer und einem Wutausbruch, der sich gewaschen hat. Jesus ist genauso außergewöhnlich gestaltet. Er ist ruhig und voller Güte und lebt das, was er predigt. Sein beschriebenes Charisma wirkt sogar durch das Lesen – dazu muss man ihn gar nicht sehen. Wie Vater, so Sohn – auch er kifft und spielt liebend gerne Gitarre, was sich in einigen Sessions mit Jimi Hendrix im Himmel niederschlägt. Seine mitreißende Art überzeugt nicht nur seine Freunde auf der Erde davon, dass er der Sohn Gottes ist. Auch seine Vorgehensweise gegenüber Gegnern und sein gelebtes „Halte auch die andere Wange hin“ erhalten genug Raum, um ihn wirklich lebensecht wirken zu lassen.

Der zweite Teil und die weiteren, die auf der Erde spielen, machen großen Spaß. Der Roadtrip zu den Studios der Castingshow besitzt ein paar klitzekleine Längen, die aber bei dem rasanten Tempo der restlichen Geschichte nicht weiter ins Gewicht fallen. Neben dem Anprangern einiger religiöser Punkte flechtet Niven Kritik am Showbusiness und an Castingshows ein, die fast noch beißender ist. Dabei ist es nicht notwendig, das amerikanische Format dieser Shows zu kennen, da hierzulande „Deutschland sucht den Superstar“ und ähnliche Shows bekannt sind. Jesu Jünger und Freunde, die sich ihm bei seinem neuen Abenteuer anschließen, erhalten eigene Persönlichkeiten, so dass sie dem Leser ans Herz wachsen. Innerhalb kürzester Zeit kennt man ihre Vorlieben und Standpunkte, die konsequent durchgehalten werden. Seine Gegner sind im Lauf des Buches ebenso ausgearbeitet. Nur gegen Ende kommen äußerst viele Namen auf einmal vor, was die Orientierung ein wenig erschwert. Da man aber die Namen der Freunde von Jesus kennt, ist klar, dass jeder, der nicht dazu gehört, auf der Gegenseite steht.

Besonders gegen Ende gewinnt die Handlung einiges an Geschwindigkeit. Der Erzähler deutet Ereignisse an, die den Leser packen und unbedingt weiterlesen lassen wollen. Gelächter und Tränen sind vorprogrammiert bei diesem wundervollen Roman.

Aufmachung

Das gebundene, weiße Buch erscheint mit einem Schutzumschlag. Der auf dem Cover abgebildete junge Mann sieht so aus, wie man sich gemeinhin Jesus vorstellt. Hinter ihm ist ein Größenmaß angebracht, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt und vor dem Verbrecher fotografiert werden. Die rechte Hand hält er in der bekannten Segensgeste, allerdings steckt zwischen Zeige- und Mittelfinger ein Joint, dessen aufsteigender Rauch einen Heiligenschein über Jesu Kopf bildet. Sehr witzig ist das Rückenbild, schiebt man den Roman ins Regal, denn dort befindet sich eine Seitenansicht des Coverbildes, wie bei einer Verbrecherkartei. Auf der Rückseite befindet sich die Inhaltsangabe vor einem mit weißen Wattewölkchen versehenen blauen Himmel. Die vordere Umschlagklappe enthält eine weitere Inhaltsangabe, die hintere eine Vita und ein Foto des Autors. Die verschiedenen Teile des Buches werden durch Zitate eingeleitet und durch den jeweiligen Handlungsort. Die darauf folgenden Kapitel beginnen mit schönen Initialen.

Ähnliche Titel

Jesus Christ Superstar (Musical); Jesus liebt mich (Roman); Manga Messias (Manga)


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