Bracklo 01Gabriela Bracklo hat das „Kamishibai“ nach Deutschland gebracht und damit Bilderbüchern einen neuen Rahmen gegeben. Dabei ist es vor allem die Verbindung von Vortragsart und japanischen Märchen, die die Neugier wecken und Stoff für zahlreiche Fragen geben. (Foto: Copyright Gabriela Bracklo)

Wie kam die Zusammenarbeit mit Japan zustande?

Unsere Familie hat viele japanische Freunde und Bekannte. Meine Freundinnen Keiko Funatsu und Momo Nishimura lernte ich in München kennen. Alles begann an einem Rotary Foundation Alumni Stammtisch vor acht Jahren. Ich selbst war 1992-93 Rotary Stipendiatin in Kalifornien. Keiko Funatsu kam als Rotary Stipendiatin nach Deutschland und Momo Nishimura ist inzwischen „eingeheiratet“, d.h. mit einem Alumni der Rotary Foundation verheiratet. Damals hätte ich gern meinen Kindern etwas über die Kultur der netten und herzlichen Freunde aus Japan mitgeteilt, auch durch Bilderbücher.

Zunächst begannen wir mit einer Serie klassischer Märchenbüchern mit Bezug zu Japan: Autorin Keiko Funatsu und Illustratorin Momo Nishimura, meinen japanischen Freundinnen, die damals beide ebenfalls in München lebten, planten mit mir 2007 das Projekt, japanische Märchen als Bilderbücher in deutscher Sprache zu verlegen. Wir hatten als typische Vertreter unserer Zielgruppe zunächst meine drei Töchter im Kindergarten- und Grundschul-Alter im Blick. Für sie hätte ich nämlich gern derartige Bücher gekauft, doch es gab sie nicht in der Form, die mir vorschwebte.

Die Illustrationen und der Text sollten den Betrachtern in stimmungsvoller, japanischer Art mit viel Liebe zum Detail auch Einblick in das traditionelle Leben im Alten Japan geben. Klassische Märchen vermitteln fundamentale Weisheiten einer Kultur.

So sehen Origami-Faltanleitungen aus

So sehen Origami-Faltanleitungen aus

Woher kam die Idee, die Märchenbücher mit Origami-Bögen zu versehen?

Jedes Märchenbuch enthält als kleines Extra eine Origamifaltanleitung mit Papier, um eine Figur zu falten, die in dem jeweiligen Märchen eine Rolle spielt. So kann man unmittelbar die Geschichte und Kultur Japans mit den verschiedenen Sinnen erleben. Außerdem bietet das Origamifalten Familien, Schulklassen und Kindergruppen die Möglichkeit, das Thema im Anschluss an die Geschichte zu vertiefen und auch andere traditionelle Seiten der japanischen Kultur vorzustellen.

Bilderbuch, Papiertheater und Origami sind verschiedene Facetten der Wertschätzung des Papieres in der japanischen Kultur und des kreativen Umgangs mit unterschiedlichen Arten des Papieres.

Zusätzlich zu Origamipapier und Faltanleitung in den Bilderbüchern und Kamishibai können interessierte Leser auch auf unserer Website Faltanleitungen nach Bedarf ausdrucken und kleine Filme anschauen, die zeigen, wie die Figuren Schritt für Schritt gefalten werden. Das ist zur Vorbereitung von Lesungen und Aufführungen sehr hilfreich.

Ein Teil vom Erlös der Märchen-Bilderbücher geht an End Polio Now, das gegen Kinderlähmung vorgeht. Warum haben Sie sich für dieses Projekt entschieden?

Vor mehr als 25 Jahren begannen Rotarier weltweit, gegen die damals verheerende Infektionskrankheit Polio, bei uns unter dem Namen Kinderlähmung gefürchtet, mit flächendeckenden Impfungen zu kämpfen. Für Erkrankte gibt es keine Heilung. Doch während damals jährlich 350.000 Kinder erkrankten, gelang es, die Zahl der Neuinfektionen auf 223 bekannte Fälle im Jahr 2012 zu bringen. Es sind nur noch drei Länder in entlegenen Bürgerkriegsregionen betroffen. Die Krankheit endgültig durch Unterbrechung der Infektionsketten auszurotten ist ein unglaublich großes und wichtiges Ziel der Rotarier weltweit. Es handelt sich um das größte weltweite, nicht-militärische, nicht-staatliche Projekt aller Zeiten. Es ist uns wichtig, zusammen mit den Lesern unserer Bilderbücher zu helfen, dieses Projekt auf der Zielgeraden mit Spenden von 1,50 Euro pro Buch (das entspricht 3 Impfdosen) zu unterstützen.

Wir haben uns als Team durch Rotary Stipendienprogramme kennen gelernt und sind persönlich der Rotary Stiftung sehr dankbar. So beschlossen wir gleich zu Beginn der Zusammenarbeit, mit diesem gemeinsamen Bilderbuchprojekt einen kleinen Beitrag an die rotarische Stiftung zugunsten End Polio Now zurück zu geben. Seit 2009 konnten wir durch unser Bilderbuch-Projekt bereits ca. 4.000 Euro beisteuern.

Wie funktioniert die Arbeit mit zwei Autorinnen und Zeichnerinnen, die sich nicht im selben Land befinden?

Während der Arbeit an den Märchenbüchern „Dank des Kranichs“ und „Momotaro der Pfirsichjunge“ lebten wir alle noch in München. Die Zusammenarbeit war also sehr unproblematisch. Seit Autorin Keiko Funatsu den größten Teil des Jahres in Japan lebt und dort als Dozentin für deutsche Sprache in Kyoto tätig ist, nutzen wir zunehmend technische Kommunikationswege:

Storyboards mit Zeichnungen der Bildfolge werden fotografiert oder gescannt zwischen Deutschland und Japan verschickt und per Skype, Telefon oder Mail besprochen und kommentiert. Texte werden ebenfalls per Mail ausgetauscht und per Skype besprochen. Darüber hinaus arbeiten wir natürlich intensiv an den Projekten, wenn eine von uns das jeweilig andere Land aufsucht, was leider viel zu selten der Fall ist.

Es wäre schön, wenn wir wie früher zu dritt am Küchentisch zusammenarbeiten könnten. Doch hilft es uns sehr, dass wir uns während der ersten Jahre gut kennen gelernt haben und befreundet sind, wenn wir jetzt durch die große Distanz oft nur über den Bildschirm oder per Mail miteinander sprechen können. Die Vorfreude auf unser nächstes wirkliches Treffen ist dabei immer groß.

Bracklo 03Wie kamen Sie auf die Idee, ein Kamishibai im europäischen Raum zu entwickeln?

Die Märchenbücher und ihre Abbildungen wurden seit 2009 sehr populär und wir erhielten zahlreiche Einladungen zu Lesungen mit anschließendem Origamifalten in Bibliotheken, vor Kindergartengruppen und im Grundschulbereich, wo das Thema „Märchen“ ja traditionell auch auf dem Lehrplan steht. Dabei verwendeten wir anfangs elektronische Medien (Computer, Beamer, …), um die Bilder als Projektion zu zeigen.

Doch während die sehr gute Druck- und Papierqualität unserer Bilderbücher oft gelobt wird, waren wir selbst mit der Bildqualität von Beamer-Projektionen auf unterschiedlich glatten Leinwänden in unterschiedlich gut verdunkelten Räumen nicht immer glücklich. Gruppen kleiner Kinder in dunklen Räumen mit einer Geschichte zu bezaubern ist möglich, aber meist erlebt man bei einigen Kindern auch Unruhe, Furcht oder Müdigkeit.

Da Illustratorin Momo Nishimura seit mehreren Jahren zunächst als Stipendiatin, später als Assistentin an der Internationalen Kinder- und Jugend Bibliothek auf Schloss Blutenburg in München-Pasing arbeitet, war ihr die dortige umfangreiche Sammlung originaler japanischer Kamishibai bekannt und vertraut. Frau Fumiko Ganzenmüller, deren Assistentin Momo Nishimura seit einigen Jahren ist, war so freundlich uns Rat zu geben und unsere Fragen zum Thema Kamishibai zu beantworten.

Was fasziniert Sie am meisten am Kamishibai?

Diese traditionelle japanische Erzählkunst, die Geschichten mit Bildkartensätzen in mobilen, aufklappbaren, hölzernen Papiertheater-Bühnen aufführt, erschien uns sofort ideal als Medium für unsere Märchen-Lesungen mit Origamifalten. Als Erzähler sieht man dem Publikum direkt ins Gesicht und stellt so während der gesamten Aufführung einen Kontakt her. Die Bilder sind auf hochwertigem, matt lackiertem Karton gedruckt und das Ziehen und Schieben der aufeinander folgenden Illustrationen behält eine reale, haptische Qualität, die er traditionellen Papierkultur Asiens und Europas viel besser entspricht als verfremdete und abgeschwächte Beamer-Projektionen im finsteren Raum.

Außerdem ist der einzelne Kindergarten, die einzelne Bibliothek oder Schule mit dem Kamihsibai nicht darauf angewiesen, einen externen „Vortragskünstler“ einzuladen. Hat man einen Kartensatz im Bestand, können die Mitarbeiter selbst oder auch engagierte Eltern immer wieder, auch spontan, die jeweilige Geschichte im kleinen oder größeren Rahmen vortragen. Kinder und Familien, die das Thema anschließend vertiefen möchten, können sich das entsprechende Märchenbuch ausleihen und sich daheim oder vor Ort darin vertiefen.

Wie aktuell das Thema „Kamishibai in Europa“ geworden ist, wurde mir persönlich erst bewusst, als ich mit Momo Nishimura den ersten Kamishibai-Kongress Europa im April 2012 in der UNESCO in Paris besuchte. Dort berichtete Frau Fumiko Ganzenmüller in einem besonderen Vortrag über Kamishibai in Deutschland.

Im November des gleichen Jahres hatte ich die Freude und Ehre, auf dem jährlichen Kongress der IKAJA (International Kamishibai Assocciation Japan) in Tokyo, Japan, selbst ein paar Worte über europäische Erfahrungen mit dem neuen Medium Kamishibai sagen zu dürfen. Es sind die ersten Schritte auf einem faszinierenden und facettenreichen Weg der die europäische Erzählkultur und frühe Pädagogik sehr bereichern wird.

Bracklo 02Warum befindet sich der Märchentext sowohl in deutscher als auch englischer Sprache auf der Rückseite der DIN A3 Kamishibai-Bildkarten?

Die Zweisprachigkeit der DIN A3 Kamishibai hilft uns, die deutschen Sprachgrenzen zu überschreiten und das Repertoire der Kamishibai-Geschichten in den westlichen Ländern insgesamt zu erweitern. Das Interesse an der traditionellen japanischen Erzählkultur des Kamishibai wächst weltweit, und Erzähler, Verlage, Bibliotheken und andere öffentliche Institutionen möchten sich hierbei gern international vernetzen.

Unsere zweisprachigen Kamishibai sind also nicht primär als Sprachlehrmedium gedacht, finden aber oft bei internationalen Veranstaltungen, z.B. internationalen Straßenfesten, internationalen Schulveranstaltungen ihr begeistertes Publikum.

Im Gegensatz zum Bilderbuch sehen die Kinder beim Kamishibai nur die Bilder auf der Vorderseite. Mehrsprachige Texte sind also für sie nicht verwirrend. Nur der Vorlesende hat die verschiedenen Sprachen im Blick und kann entsprechend wählen. Weitere mehrsprachige Ausgaben unserer Geschichten in anderen europäischen Sprachen befinden sich in Vorbereitung.

Auch bei der Gestaltung eigener Kamishibai-Geschichten auf unseren weißen Blanko-Kamishibai-Sets können jeweils zwei oder mehr Sprachen aufgetragen werden. Das ist besonders für mehrsprachige Familien oder internationale Kindergruppen interessant.

Setzen Sie Kamishibai selbst ein? Falls ja, wie?

Seit Erscheinen unserer Kamishibai im Jahr 2012 haben wir die Märchen „Dank des Kranichs“ und „Momotaro der Pfirsichjunge“ in einer aufklappbaren DIN A3 Holzbühne aufgeführt und anschließend mit den Kindern und Erwachsenen im Publikum Origami gefaltet.

Beim jährlich im Englischen Garten in München stattfindenden Japanfest treten wir ebenso auf, wie z.B. auf einer intensiven vom Rotary Club Lübben-Spreewald initiierten Lesereise durch den Spreewald (Februar 2013), bei der Kinder in Bibliotheken, Kindergärten, Schulen und auf einer Kinderkrankenstation zu uns kamen. Dort erlebten wir erneut die beinahe hypnotische Faszination, die von den Geschichten aus dem hölzernen „Zauberkasten“ ausgeht. Lehrer, Erzieher und Bibliothekare waren unweigerlich von der Stille im Raum überrascht.

Als Verlegerin bin ich jedoch nur zu einem kleinen Teil Kamishibai-Frau. Auch wenn meine Töchter und mein Mann mir gern helfen, mit den Kindern Kraniche oder Pfirsiche als Origami zu falten, ist das eher die Ausnahme. Geschichten-Erzähler, Bibliothekare und Erziehende sind die wirklichen Übermittler und Vorleser der Geschichten, die die Phantasie all der Kindern anregt.

Befindet sich ein Kamishibai im Bestand einer Bibliothek in deren Nähe, so brauchen sie mich nicht als Vorleserin. Und wahrscheinlich sind sie selbst sogar eine bessere Vorleserin als ich es sein kann, da sie ihr Publikum besser kennen und es liebevoll durch die Geschichten begleiten können.

Origamifalten

Origamifalten auf dem Japanfest in München

Was sind Ihre nächsten Projekte?

In Vorbereitung zum Druck sind:

Hoko Takadono – Wenn meine Haare lang wachsen

Es ist uns eine besondere Freude und Ehre, dieses wundervolle Bilderbuch für Kinder ab 3 Jahren, das in Japan zu den Bilderbuch-Klassikern zählt, erstmals in deutscher Sprache zu verlegen.

Hana, ein abenteuerlustiges Mädchen mit viel Selbstvertrauen und Vorstellungskraft, ermutigt mit Ihren fröhlichen Träumen und Plänen alle, der eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen und an sich selbst zu glauben.

Allen J. Say – Der Kamishibai-Mann

Dies ist die detailgetreu illustrierte Geschichte des alten Mannes, der noch einmal mit den Fahrrad aufbricht, um wie in seiner Jugend als Kamishibai-Mann durch die Straße der Stadt zu ziehen und die alten japanischen Bildergeschichten zu erzählen. Das Bilderbuch ist eine wundervolle Reise in die Geschichte des Kamishibai in Japan. Der japanisch-amerikanische Autor Allen J. Say nimmt uns dabei mit in seine Kindheit in Japan und zeigt uns auf liebevolle und optimistische Weise die Wurzeln des Kamishibai-Theaters in der japanischen Kultur.

Natürlich arbeiten wir als Märchenbuch-Team Nishimura-Funatsu-Bracklo intensiv an einem weiteren japanischen Volksmärchen. Neues hierzu werden wir auf der Website bekannt geben.

Gibt es noch etwas, das Sie den Lesern mitteilen wollen?

Kamishibai-Sets aus weißen Blanko-Karten bieten wir für all diejenigen an, die gern eigene Geschichten als Kamishibai erzählen möchten. Sei es, um auf einem internationalen Fest ein fremdländisches Volksmärchen vorzutragen (auch in verschiedenen Sprachen), sei es um bei einer Familienfeier in Erinnerungen zu schwelgen, oder sei es, um bei einer Manager-Schulung Hauptgedanken eindrücklich im Gedächtnis der Gruppe zu verankern. All dies sind nur einzelne Beispiele zum kreativen Umgang mit Kamishibai-Techniken in unserer eigenen Umgebung. Über Erfahrungsberichte, Bilder und Anregungen aus Ihrem Leserkreis würde ich mich sehr freuen!

Gern beraten wir Sie bei der Anschaffung einer geeigneten, schönen und preiswerten Holzbühne für Kamishibai-Vorführungen.

Sollten Leser dieses Interviews Anmerkungen, Veranstaltungshinweise oder Fragen haben, so würde ich mich sehr über Nachrichten und Kommentare freuen. Als Angebot für Ideenaustausch und Networking habe ich u.a. eine Facebook-Gruppe zum Thema Kamishibai mit überwiegend deutsch- und englischsprachigen Kommentaren eingerichtet.
Bitte füllen Sie diese mit Leben, sei es durch Bilder, Veranstaltungsplakate oder andere Dokumente zum Thema Kamishibai. Vielen Dank schon jetzt!

Welche Bücher oder Comics lesen Sie selbst gerne?

Ich sammle Kunst- und Antiquitätenbücher mit Bezug zu Asien und Europa und interessiere mich für Biographien.
Ich liebe Bill Watterson’s „Calvin and Hobbes“ und Larry Gonick’s Wissenschaftscartoons.
Zur Entspannung lese ich gern Kriminalgeschichten z.B. von Donna Leon, Martha Grimes oder Agatha Christie, wenn möglich auf Englisch. Theodor Fontane lese ich immer wieder gern, d.h. auch mehrfach.

Herzlichen Dank für das Interview.