Perry_2013John Perry ist der Autor des wunderbar amüsanten „Einfach liegen lassen“.Neben seiner Tätigkeit als Professor an der Stanford University war er sehr erfolgreich darin, Prokrastination zu einer Kunstform zu entwickeln. Lassen Sie uns sehen, welche Tätigkeit er vermied, indem er dieses Interview beantwortete. (Foto: Copyright John Perry)

Danke, dass Sie an diesem Interview teilnehmen.
So, dann erzählen Sie uns einmal, welche Tätigkeit Sie schleifen lassen, während Sie meine Fragen beantworten? 🙂

Ach, ich wünschte, es wäre nur eine einzige! Es gibt eine lange fällige Ausarbeitung für eine philosophische Anthologie zum Thema was es bedeutet, etwas zu sagen. Zum Thema freier Wille sollte ich ein überfälliges Buch schreiben, auf das die Oxford University Press wartet. Und die Garage müsste ausgemistet werden.

Sind Sie schon immer ein Fan der Prokrastination gewesen?

Nein. Ich habe mich früher selbst gegeißelt, weil ich ein Prokrastinateur war. Und weshalb nicht? Wenn man nach vielen Artikeln geht, die man in Magazinen liest, sind Prokrastinateure faule, unproduktive Leute, die für sich selbst und andere ein Leben voller Stress erschaffen. Sie neigen dazu, Alkoholiker zu werden und bringen andere möglicherweise ebenfalls dazu, zu trinken. Sie sind eine große Last für unsere Ökonomie. Wahrscheinlich sind wir schuld an der weltweiten Rezession und, wenn wir schon mal dabei sind, wahrscheinlich auch am ganzen Krieg und allen Krankheiten.

Im Jahr 1996 tagträumte und las ich so vor mich hin und fühlte mich schlecht, weil ich eigentlich Arbeiten von Studenten korrigieren und Lektionen vorbereiten und an Prüfungen arbeiten sollte. Dann erkannte ich ein gewisses Paradox. Ich war als jemand bekannt, der sehr viel schaffte. Die Lösung des Paradoxes war, dass ich eine Menge erledigte, um nicht die wichtigen Dinge zu tun, die ich eigentlich stattdessen hätte tun sollen. Das ist es, was ich „strukturierte Prokrastinateure“ nenne.

Ich denke, wir strukturierten Prokrastinateure haben einen schlechten Ruf. Prokrastination ist eine Schwäche – das bestreite ich nicht. Aber wenn man durch die Menschheitsgeschichte geht und all die Ideen und Erfindungen herausnimmt, die Menschen einfielen, während sie eigentlich etwas anderes hätten tun sollen, würde man die menschliche Kultur demontieren. Großartige Romane wurden geschrieben, wundervolle Gedichte notiert, Geschäfte ins Leben gerufen und wissenschaftliche Entdeckungen gemacht – all das von den Leuten, die eigentlich etwas anderes hätten tun sollen.

Glauben Sie, dass die Person, die das Rad erfunden hat, Dinge erfinden sollte? Ich wette, er oder sie hätte eigentlich Dinge herumschleppen sollen und hat sich eine Pause gegönnt. Oder denken Sie an Newtons Entdeckung der Schwerkraft. Er sollte eigentlich Äpfel für Mrs. Newton pflücken und nicht unter dem Baum einem Tagtraum nachhängen. (Falls es eine Mrs. Newton gab. Ich bin nie dazu gekommen, das nachzuprüfen.)

Prokrastination scheint in Ihrer Familie zu liegen, da Ihre Enkelin Ihre Homepage entworfen hat, um ihrem Literaturtest zu entgehen. Hat jeder in Ihrer Familie diese besondere Charaktereigenschaft und wie gehen Sie damit um?

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Mutter oder mein Vater Prokrastinateure waren. Vermutlich habe ich diese Eigenschaft als Schutz für den Umgang mit all diesen gut organisierten Leuten entwickelt. Selbst wenn ich schlussendlich das tun musste, was sie mir sagten, habe ich noch ein wenig Kontrolle über mein Leben behalten, indem ich die Dinge aufschob. Mein Bruder war ein Prokrastinateur, aber meine Schwester ist sehr gut organisiert und effizient. Mein ältester Sohn schiebt gerne Dinge auf, aber meine Tochter ist jemand, die die Dinge rasch in Angriff nimmt, damit sie sich entspannen kann.

Wenn ein Nicht-Prokrastinateur mit einem Prokrastinateur zu tun hat, ist es leicht, kontrollierend zu sein. Es funktioniert aber normalerweise besser, wenn man die Menschen in ihrem eigenen Tempo arbeiten lässt, selbst wenn dadurch nicht die optimale Effizienz erreicht wird. Man ist meist positiv überrascht über das, was sie schaffen, während sie das, was sie eigentlich tun sollten, aufschieben.

Wenn ein Prokrastinateur mit einem Nicht-Prokrastinateur zu tun hat, besteht der Schlüssel darin, zu der eigenen Schwäche zu stehen, aber darauf hinzuweisen, dass man am Ende alles erledigt bekommt, selbst wenn man die ganze Nacht dazu durchmachen muss. Wichtig dabei ist, nicht zu behaupten, dass man nicht wirklich Dinge aufschiebt, weil das, was man tut, bei weitem wichtiger ist als das, was man eigentlich tun sollte. Das macht die Menschen wahnsinnig.

Wer hatte die Idee, „strukturierte Prokrastination“ auf T-Shirts, Taschen, Tassen und andere Dinge drucken zu lassen?

Meine wunderbare und talentierte Enkelin Erin. Nach dem oben erwähnten Vorfall im Jahr 1996 schrieb ich einen kurzen Aufsatz mit dem Titel „Strukturierte Prokrastination“, der nun das erste Kapitel im Buch ist. Nach einer Weile kam das Internet dazu, und Erin stellte den Aufsatz auf eine Webseite. Es ist bemerkenswert, wie beliebt er wurde. Daher entschied sie, T-Shirts zu verkaufen und ein wenig Profit damit zu erwirtschaften. Es ist sehr wenig, befürchte ich, aber es macht Spaß, die Webseite zu haben.

Was für Bücher lesen Sie gerne?

Nahezu alles, was ich nicht dafür brauche, um mich auf das Unterrichten einer Klasse vorzubereiten. Kriminalromane, Romane, Geschichtsbücher und ähnliches, die New York Times oder Magazine wie „The New Yorker“.

Eine Weite habe ich viel Zeit damit verbracht, Bücher auf deutsch zu lesen. Was für eine wundervolle Sprache! Leider bin ich nie besonders gut darin geworden, das gesprochene Deutsch zu verstehen, weil ich vermutlich zu alt war, als ich damit begann, die Sprache zu lernen. Ein weiteres Problem ist, dass, wenn ich in Deutschland bin, die meisten Akademiker, mit denen ich zu tun habe, sehr gutes Englisch sprechen, und ich mich lieber so unterhalte als mir meine Versuche anzuhören, ihre Sprache zu sprechen.

Da Hörbücher eine so großartige Erfindung sind – mögen Sie sie und welche Titel hören Sie gerne an?

Manchmal, wenn meine Frau und ich mit dem Auto unterwegs sind, kaufen wir ein Hörbuch – meist einen Kriminalroman, manchmal eine Biografie. Ich mag sie sehr gerne. Aber wenn ich in der Lage bin zu lesen, lese ich lieber, als dass ich zuhöre. Ich weiß nicht, wieso.

Erhalten Sie viele Leserbriefe wegen Ihres Buches? Vielleicht sogar aus anderen Ländern?

Jahrelang habe ich sehr viel Fanpost aufgrund des „Strukturierte Prokrastination“-Artikels erhalten – mehrere E-Mails pro Woche von Lesern rund um den Globus. Er hat sehr viel mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen als jeder der über hundert akademischen Artikel, die ich geschrieben habe. Fast alle E-Mails waren sehr positiv, und manche Leute sagten sogar, ich hätte ihr Leben verändert! Was soll man davon halten! Das setzt sich nun, da das Buch veröffentlicht wurde, fort. Die meisten Rezensionen waren sehr positiv. Ich habe großes Glück, dass meine persönlichen Schwächen und meine Überlegungen dazu bei so vielen anderen Anklang finden.

Möchten Sie Ihren deutschen Lesern noch etwas mitteilen?

Ich liebe den deutschen Titel und finde, dass es sich um eine sehr gute Übersetzung handelt. Ich habe einmal sechs Monate lang in Bonn gelebt und Forschung an der Universität dort betrieben. Zusätzlich war ich häufig in Deutschland zu Besuch. Obwohl die Deutschen ihren Ruf als organisiertes und sorgfältiges Volk zweifellos verdient haben, gibt es sehr viele Prokrastinateure in Deutschland. Ich hoffe, mein Buch hilft ihnen dabei, sich besser zu fühlen, und gibt ihnen ein paar hilfreiche Tipps an die Hand, wie sie die schlimmsten Nachwirkungen dieser Schwäche umgehen können.

Vielen Dank!

Es war mir eine Freude!