Hans Dieter Stöver hat sich einen Namen mit historischen Romanen gemacht, die vor allem in Rom spielen. Ewige Klassiker sind unter anderem seine „Quintus“-Trilogie, die sich nach wie vor als Schullektüre eignet. (Foto: Copyright Hans Dieter Stöver)

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben.

Gerne.

Ursprünglich wollten Sie Musiker werden und wurden Grafiker. Wie kamen Sie zum Schreiben? Inwiefern spielen, da Sie z.B. ein Musikstudio besitzen, Musik und Grafik für Sie noch eine Rolle in Ihrem Leben?

Da muss ich etwas ausholen… In meiner Jugend war es ein Problem, beide Talente (musikalisches und künstlerisches Gestalten) gegeneinander abzuwägen. Mein Musiklehrer entdeckte meine musikalische Begabung – ich war elf – und gab mir privat Geigenunterricht.  Schon nach kurzer Zeit spielte ich Werke der klassischen Literatur (von Bach, Händel, Vivaldi, Beethoven…) und begann auch mit kleinen eigenen Kompositionen. Zugleich wurde eifrig gezeichnet und gemalt. Mit Beginn der Pubertät verschlechterten sich meine schulischen Leistungen. Für meine Mutter (sie war Witwe) kam eine Wiederholung der Obersekunda (heute 11. Klasse) nicht in Frage. Mein Musiklehrer, der auch mein Kunstlehrer war, schlug vor, mich an den „Kölner Werkschulen“ zur Aufnahmeprüfung zu melden, die ich natürlich bestand. Schon kurze Zeit später – ich war 18 – nahm ich mir in Köln ein Zimmer. Ich finanzierte mein Leben als Bassist in einer Kölner Jazzband.
Die Einberufung zum Militärdienst beendete diesen Lebensabschnitt. Ich verpflichtete mich für drei Jahre, da man mir Hoffnungen machte, mit der „Mittleren Reife“ könne ich Offizier werden. Das stellte sich als falsch heraus.
Längst hatte ich den festen Vorsatz, das Abitur nachzuholen und bereitete mich intensiv darauf vor. Nach bestandener Prüfung studierte ich an der Pädagogischen Hochschule Bonn und kam anschließend in den Schuldienst von Nordrhein-Westfalen.

Wie kam ich zum Schreiben… Das hing mit meinem Beruf und dem Hauptfach Geschichte zusammen. In der Unterstufe muss man erzählen können. Und das machte mir und den Schülern großes Vergnügen. Wenn ich in einer Klasse Vertretungsunterricht hatte und fragte, was wir machen sollten, brüllte sie im Chor: „Die Lömel! Die Lömel!“ (- in Anlehnung an die Warnung des Ausgucks eines Piratenschiffes auf hoher See in einigen Asterix-Heften.)
Schon nach drei Jahren begann ich ein Zweitstudium (Schwerpunkt Alte Geschichte) an der Uni Köln, um das Handwerkszeug in den Griff zu bekommen. Meine private Bibliothek wuchs und wuchs – und irgendwann war der Ärger über die trockene, langweilige Darstellung der Römischen Republik so groß, dass ich mir sagte: Das kann und muss man spannender, anschaulicher, emotionaler machen – das kannst du besser! So schrieb ich in zwei Jahren mein erstes Sachbuch „Die Römer – Taktiker der Macht“(ECON Verlag), das im Sommer 1976 erschien und ein Bestseller wurde.
Grafisches Gestalten wurde nun nur noch privat betrieben, Musizieren ebenfalls – aber mit größerem Einsatz, da ich vom ersten großen Honorar einen Flügel kaufte und mir Grundkenntnisse des Klavierspiels selbst beibrachte. (Meine Tochter und mein Sohn konnten dann verwirklichen, wovon ich in meiner Jugend geträumt hatte, und wurden „studierte“ Musiker.)
Die heutige PC-Technik macht es seit den neunziger Jahren möglich, mit allen nur denkbaren Klängen zu experimentieren und zu komponieren. So habe ich mehrere Sinfonie-Orchester in meinen Rechnern, aber auch verschiedene Synthesizer und fremdartige Klangsammlungen, die immer wieder zu neuen Kompositionen anregen. Sie sehen also, ich langweile mich nie. Im Übrigen ist Musizieren/Komponieren das beste Mittel, um die grauen Zellen lange funktionsfähig zu halten.

Ihre Bücher haben mich seit meiner Kindheit begleitet. Gut in Erinnerung blieb mir die Quintus-Trilogie. Mit C.V.T. sprechen Sie ein älteres Publikum an. War das damals eine natürliche Weiterentwicklung, dass Sie sich von den Romanen um C.V.T. Anfang der 80er Jahre gegen Ende der 80er Jugendromanen zuwandten?

Ja, das kann man so sehen. „Quintus geht nach Rom“ ist aus dem Unterrichtsgeschehen entstanden: Die Geschichte, die ich erzählte, kam bei den jungen Zuhörern gut an und sie wollten immer wieder wissen, wie es denn weiterging.
Später folgten dann – unabhängig vom Unterricht – „Quintus in Gefahr“, „Quintus setzt sich durch“ und weitere Jugendbücher.

Wie sind Sie auf die Figur des großartigen Alexander bei C.V.T. gekommen, der dazu neigt, dem Titelhelden die Show zu stehlen?

Nun, es gibt für Alexander tatsächlich ein Vorbild, einen Leutnant noch aus der alten Wehrmacht, während meiner Rekrutenzeit stellvertretender Kompanie-Chef und unser Zugführer. Er begann grundsätzlich jede Mitteilung mit „Herhören!“. Folgte danach „Es gibt hier einige Herren, die es für notwendig befunden haben …“ – dann wussten wir, es würde Ärger geben. Das alles wurde mit einer prägnanten, wohlklingenden Bass-Stimme vorgetragen.
Einmal kam es beim Morgenappell, als er an den angetretenen Rekruten entlangging und vor mir stehen blieb, zu folgendem „Dialog“ zwischen ihm und mir:

„Name!“
Ich nannte ihn.
„Vortreten!“
Ich trat einen Schritt vor.
„Herhören!“
Alles im Umkreis horchte auf und er fuhr donnernd fort: „Haltung, Mann!“
„Jawohl!“ Ich stand stramm wie nie.
„Sie haben sich heute Morgen nicht rasiert, Mann!“
„Ich habe mich rasiert, Herr Leutnant!“, brüllte ich.
Er kam ganz nahe heran: „Ist ja nicht zu fassen! Heißt das etwa, dass ich lüge?!“
Das Fatale war: Egal, ob ich mit „Jawohl“ oder „Nein“ antwortete, ich zog in jedem Fall den kürzeren. Doch dann grinste er und raunzte: „Herhören! In einer halben Stunde bei mir melden! Rasiert!“
„Jawohl!“
„Na also! Zurücktreten!“
Die Kameraden grinsten…

Als „linke und rechte Hand“ (O-Ton Alexander) von C.V.T. war Alexander von Anfang an eine wichtige Figur, die sich vom zum Teil blutigen Geschehen der kriegerischen oder kriminellen Ereignisse abheben und den Leser zum Schmunzeln bringen sollte. Sie haben Recht, er spielte sich dann mehr und mehr in den Vordergrund, so dass ich immer mal wieder die Zügel anziehen musste.
Tatsächlich hat er nur vor einem Menschen Respekt: Gaius Volcatius Tullus (C.V.T.: die Schreibung mit „C“ in der Abkürzung ist ein altertümlicher römischer Brauch). Und dieser wiederum lässt ihm so viel durchgehen, weil Alexander ihm in Gallien das Leben gerettet hat.
Und wie C.V.T. in Cornificius einen operativen Partner und Freund hat, der ihm auch schon mal in die Parade fährt, so hat Alexander den Archelaos, mit dem zusammen er immer wieder in Rom oder andernorts für C.V.T. unterwegs ist. Das beginnt immer mit einem Streit, endet aber stets einträchtig beim Verzehren einer Erbsensuppe mit Speck. Ganz wichtig: Durch Alexander haben wir die Möglichkeit, uns im Unterschichten-Milieu zu bewegen und Einblick in Welt der Handwerker, kleinen Händler, Gastwirte oder Gladiatoren zu bekommen.

Cäsar tritt in Ihren Romanen als souveräner Staatsmann und erfolgreicher Feldherr auf, der eng mit C.V.T. befreundet ist. Viele in unserem Kulturkreis kennen ihn ja nur als Lachnummer aus „Asterix“. War es schwer, Cäsar als die kompetente und vielschichtige Figur zu erfassen, als die Sie ihn dargestellt haben?

Nein, eigentlich nicht. Caesar fasziniert mich seit meiner Jugend, und im Laufe der Jahrzehnte habe ich alle aktuellen und älteren Biographien über ihn gelesen. Dass die Autoren oft widersprüchliche Thesen und Erklärungen ausbreiten, ist völlig normal: Jeder Biograph urteilt ebenso nach den Maßstäben und dem Wissen seiner Epoche wie auch den eigenen Lebenserfahrungen, so dass jede Caesar-Biographie immer auch ein Buch über die politischen und moralischen Vorstellungen der eigenen Zeit ist.
Umso wichtiger war das intensive Studium der antiken Autoren, die über Caesar geschrieben haben oder in anderen Zusammenhängen über ihn positiv oder negativ urteilen. Für sie gilt zwar das Gleiche wie gerade bemerkt, aber sie sind natürlich näher an der Person und ihrer Zeit.
Im Übrigen sind wir dank der hervorragenden Quellenlage gut informiert über Caesars konkurrierende oder befreundete Zeitgenossen – und dem Leser wird auffallen, dass die politischen und sozialen Probleme der ausgehenden Republik auffallend verwandt sind mit denen des 20./21. Jahrhunderts.

Band 5, der letzte Sammelband, erscheint voraussichtlich dieses Jahr bei Bocola. Was erwartet die Fans von C.V.T., Alexander, Cornificius und den anderen?

Band 9: „Tod auf dem Forum“: 

Rom, Spätsommer 50 v. Chr.: Zu den Aufgaben des Curulischen Aedilen Gaius Volcatius Tullus (C.V.T.) gehört auch die Kontrolle der verschiedenen Märkte, des Handels und Wandels der römischen Kaufleute. Außer den üblichen kleinen Streitereien, die C.V.T. zu schlichten hatte, war es bisher in der Geschäftswelt ruhig geblieben. Doch in den letzten Wochen häufen sich seltsame Vorfälle auf den Straßen rings um das Forum. Unbescholtene, wohlhabende Bürger werden zusammengeschlagen, Läden und Häuser angezündet, Sklaven ermordet. Außerdem wird dem Aedil gemeldet, dass Falschgeld im Umlauf sei.
C.V.T beginnt systematische Recherchen, doch sie bringen ihn zunächst nicht weiter. Dann aber kommt es zu einem blutigen Zwischenfall, der C.V.T. auf eine neue, gefährliche Spur bringt.
In dieser immer wieder überraschenden Geschichte lernt der Leser das Leben, die Sitten, Bräuche und Rituale der römischen Geschäftswelt kennen – wie auch die listigen, skrupellosen Machenschaften der „Unterwelt“, die sich von denen der heutigen nur in der Technik der Mittel unterscheiden.

Band 10: „Tödliche Dosis“:

Rom, Dezember 50 v. Chr.: Athenodoros, der griechische Hausarzt der Volcatier, steht vor einem Rätsel. Trotz sorgsamster Behandlung und Pflege siecht einer seiner Patienten, der römische Ritter Aulus Gellius, dahin. In Athenodoros steigt ein ungeheurer Verdacht auf. Er will einen berühmten Kollegen zu Rate ziehen – als Reaktion kommen ihm entsetzliche Drohungen ins Haus.
In seiner Verzweiflung wendet er sich an C.V.T. mit der Bitte um Hilfe. Weil Athenodoros seinem Bruder einmal das Leben gerettet hat, nimmt sich C.V.T. der Sache an. Die gefährlichen Überraschungen und das Entsetzen nehmen von Tag zu Tag zu. C.V.T. ist gefährdet wie kaum je zuvor…
Diese spannende Geschichte bringt uns das Milieu der griechischen Ärzte, der Drogenhändler und der medizinischen Scharlatane im Rom des 1. Jahrhunderts vor Christus nahe – aber auch die Machenschaften der mächtigen Großhändler, vor deren den Erdkreis umspannenden Verbindungen selbst Pompeius der Große Respekt hat…

Sie leben in Rheinbach bei Köln, an einer römischen Wasserleitung. Sie haben bereits angedeutet, dass Ihr nächster Roman um C.V.T., der in Planung ist, sich um Wasserbetrug drehen wird. Können Sie den Fans ein wenig mehr darüber verraten?

Rom war die am besten mit Wasser versorgte Metropole der Antike. Das Wasser floss oberirdisch in Aquädukten oder unterirdisch in Kanälen. Die Quellen lagen  zum Teil über 80 Kilometer von Rom entfernt im Gebirge. Die Leitungen mussten regelmäßig gewartet werden. Der größte Teil floss in die öffentlichen Bäder und Brunnen. Privatleute hatten für ihre Zapfstelle – die regelmäßig kontrolliert wurde – bestimmte Summen zu zahlen, deren Höhe von der Wasserqualität und der entnommenen Menge abhing. Quer durch die römische Geschichte berichten antike Autoren immer wieder von Wasserbetrug, bisweilen im großen Stil – und darum geht es auch in dieser Geschichte.
Sie spielt im Herbst des Jahres 50 v.Chr., als C.V.T. noch Curulischer Aedil ist und als solcher auch zuständig für die sichere Wasserversorgung Roms. Ein Leichenfund zu Füßen des Aquädukts der Aqua Appia außerhalb der Stadt lässt zunächst an einen Raubüberfall denken, da in unmittelbarer Nähe die Via Labicana verläuft. Ein zweiter Fund kurze Zeit später – ebenfalls in der Nähe der Aqua Appia, doch diesmal innerhalb der Stadt zu Füßen des Aventin – veranlasst C.V.T., amtliche Recherchen anzustellen, bei denen natürlich Alexander, Archelaos, Selenus und Cornificius eine wichtige Rolle spielen. Dabei verdichtet sich immer mehr der Verdacht, dass Vettia, die Frau des in Massilia (Marseille) in der Verbannung lebenden Gaius Verres – oder dieser selbst etwas mit den Mordfällen zu tun haben könnte…

Sie sind ein Fan der TV-Serie „Merlin“. Ist Fantasy eine Ihrer Leidenschaften?

Nein, Leidenschaft ist zu hoch gegriffen. Aber gut gemachte Stücke dieser Art sind sehr unterhaltsam. Es ist immer wieder erstaunlich und amüsant zu verfolgen, was Autoren, Regie und Darsteller aus Geschichten herausholen können, deren Ursprünge nach wie vor im Nebel des Mittelalters liegen.
Dabei schießt mir immer wieder durch den Kopf: Biographien oder Romane über historische Personen wie Caesar, Cicero, Augustus – oder auch C.V.T. – bewegen sich ebenfalls zu großen Teilen in einem Reich der Phantasie, weil wir in wesentlichen Dingen viel zu wenig über sie wissen. Umso größer die Herausforderung, es dennoch zu versuchen. (Ein Beispiel: Wusste Caesar vom bevorstehenden Mordanschlag an den Iden des März? Wollte er, dass man ihn tötete?)

Welches Projekt liegt Ihnen noch besonders am Herzen? Was würde Sie reizen?

Das wäre eine Science-Fiction-Satire: Reise mit einer Zeitmaschine ins antike Rom, um die Ermordung Caesars zu verhindern. Caesar, der davon erfährt, möchte umgekehrt ins 21. Jahrhundert „gebeamt“ werden. Nachdem er Einblick in unsere Welt genommen hat, zieht er es vor, sich in Rom ermorden zu lassen.

Vielen Dank für das Interview. Ich freue mich bereits auf den nächsten Doppelband um C.V.T. und Alexander!