Kompakt

Ein literarischer Mindfuck, der geschickt die Grenze zwischen wahr und falsch verwebt und in seinen Bann reißt …

Bewertungwww.dyerware.comwww.dyerware.comwww.dyerware.comwww.dyerware.comwww.dyerware.com

Jens Lossau – Schwarzes Erbe
Autor Jens Lossau
Verlag Digital Publishers
Erschienen April 2014
ISBN 978-3-945-29800-8
Seitenanzahl 254 Seiten

Zur Leseprobe.

Inhalt

Lina und Ben leben im Rheinhessischen Alzey und haben es satt, dass die kleinstädtische Bevölkerung ihre nationalsozialistische Vergangenheit unter den Teppich kehrt. Um gegen das Schweigen anzukommen, verfassen sie eine Graphic Novel namens „Rabenwelt“, die sie auf einen Schlag berühmt macht. Lina ahnt jedoch nicht, dass Ben darin das Schicksal seiner Mutter aufarbeitet, die als Kind in einem Konzentrationslager war, und im Zuge seiner weiteren Recherche tragische Geheimnisse aufdeckt …

Stil

Jens Lossau schreibt in einer hypnotisierender Erzählweise, die den Leser in die Geschichte saugt und nicht  mehr loslässt. Dazu trägt auch sein ganz eigenes Vokabular bei, das auf den ersten Seiten noch etwas gewöhnungsbedürftig ist. Je mehr man jedoch in die Geschichte eintaucht, desto passender erscheint es.

Seine Protagonistin Lina ist selbst Schriftstellerin, sie lässt ihr Leben Revue passieren. Sie befindet sich – laut Prolog – in einer ausweglosen Situation, die nur ihren Tod zur Folge haben kann. Unter Zeitdruck legt sie eine Art Beichte ab und schreibt ihre Erinnerungen, die mit Auszügen aus „Rabenwelt“ gespickt sind, nieder.

Das klingt zunächst wie ein 08/15-Plot, entpuppt sich aber sehr schnell als kreativer und packender Thriller.  Die Handlung wird chronologisch erzählt – vom ersten Kennenlernen Bens und Linas, bis hin zu ihrem Auseinanderscheiden, dessen Hintergrund ich nicht weiter ausführen möchte. Wenn Sie das E-Book lesen, und dazu rate ich Ihnen, werden sie schon selbst herausfinden, was Sache ist.

Die zahlreichen, aber überschaubaren, Figuren sind gut charakterisiert und auch diejenigen, die konturlos vor sich hin vegetieren (und an dem „großen Egal“ leiden), werden gekonnt dargestellt – in dem, was sie nicht sagen, nicht tun, nicht denken. Linas Eltern gehören zu diesen Schattenbildern. Sie reden an ihrer Tochter vorbei, erkennen nicht, worum es ihr geht, und versinken im graubraunen Einheitsbrei der Stadtbevölkerung, die gegen jede Aufregung und Ordnungswidrigkeit in ihrer ländlichen Idylle reagiert, indem sie nicht reagiert.

Stimmungstechnisch startet der Thriller bereits düster. Als sich Lina und Ben kennenlernen, beschützt sie ihn vor zwei Schulrowdys, die ihn – wegen seiner Grasschulden und einem Zwischenfall in der Schulklasse – gerade verprügeln wollen. Danach rettet er sie, als sie ihrem Leben nach dem Tod ihres heißgeliebten Onkels ein Ende setzen und ins Seewasser waten möchte. Diese Situationen deuten bereits die morbid-melancholische Tendenz an, die der Erzählung innewohnt und gegen Ende immer intensiver wird und einiges an Interpretationsspielraum bietet.

Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Umgang mit der bürgerlichen Doppelmoral stößt Ben und Lina sauer auf. Das Ergebnis ist „Rabenwelt“, eine Graphic Novel, die der Autor leider nur in Textauszügen wiedergibt. Die Ausschnitte erinnern an „Animal Farm“ und „Maus“ – tierische Imitationen der menschlichen Realität, die dadurch umso grausamer wirken.

Dass hinter „Rabenwelt“ jedoch mehr steckt als bloß eine kreative Idee, wird Lina – und dem Leser – erst später klar. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, wird durch Bemerkungen der gegenwärtigen Lina angefeuert. Diese weist immer wieder darauf hin, die Zeichen nicht richtig gedeutet zu haben. Und wie es sich für einen guten Psychothriller gehört, verwischen die Grenzen zwischen Gut und Böse, Traum und Wirklichkeit – so sehr, dass der Leser manchmal geneigt ist, die Erzählerin in Frage zu stellen.

Dass Jens Lossau Erfahrung dabei hat, Horrorgeschichten zu schreiben, wird hier deutlich spürbar. Die Spirale aus Angst, einer unklaren Bedrohung und der Ahnung, dass jetzt eigentlich etwas passieren müsste, zieht sich mit den Seiten immer dichter zusammen. Bis zum Schluss, über die Danksagung hinaus, bleibt unklar, was Fakt und Fiktion ist, wer die Guten und wer die Bösen sind. „Schwarzes Erbe“ bietet ein Katz-und-Maus-Spiel, das über das Ende hinaus zum Nachdenken – und Wiederlesen – anregt.

Aufmachung

Das E-Book besitzt 26 Kapitel sowie einen Prolog und Epilog. Danach folgt noch eine Danksagung samt Anhang, in dem der historische Hintergrund kurz erläutert wird. Das Cover bringt zwar gut die düstere Stimmung zur Geltung, Raben hätten inhaltlich aber besser gepasst.

Ähnliche Titel

„Zapping“ (Jens Lossau – Thriller); „Phobie“ (Jens Lossau – Thriller); „Der Tod und das Mädchen“ (Ariel Dorfman – Theaterstück); „Am Ende das Nichts“ (Ursula Grossmann – Thriller); „Verblendung“ (Stieg Larsson – Thriller)

Herzlichen Dank an Digital Publishers für das Rezensionsexemplar.

„Schwarzes Erbe“ als eBook bei Amazon kaufen.