Cornelia Pichler

Cornelia Pichler hat bei der Edition Keiper ihren ersten Roman „Wenn der Wind sich dreht“ veröffentlicht. Mit Lazy Literature plaudert sie über ihre Neuerscheinung und die kommenden Romane.

Liebe auf das erste Wort – so erging es mir bei Cornelia Pichlers Buch, das ein beschauliches Dörfchen in Griechenland als Schauplatz hat. Neugierig geworden, wollte ich unbedingt mehr über den Hintergrund des Romans wissen und danke Frau Pichler für ihre ausführlichen Antworten! (Foto: Copyright Cornelia Pichler)

Wie sind sie auf die Idee zu Ihrem Roman gekommen? Hat Griechenland als Schauplatz für Sie auch eine persönliche Bedeutung?

Ich habe Griechenland erst sehr spät entdeckt (2008) und mich sofort in das Land verliebt. Zu dieser Zeit leitete ich zusammen mit meinem Mann eine Möbelfirma und hatte zwei Töchter im Alter von neun und sechs. Unser damaliger Sommerurlaub führte uns nach Rhodos, wo ich das erste Mal das Gefühl hatte, dass die Welt um mich herum plötzlich nicht mehr existierte. Alles, was in diesem zwei Wochen wichtig war, war der Wind und die Gezeiten, denn mein Mann und ich erlernten das Kitesurfen. Unsere Töchter fanden sehr schnell Freunde und lebten sehr selbstständig im Garten des kleinen Familienhotels und am Strand – zusammen mit diversen Hunden, Katzen und ungefähr zehn neuen Spielgefährten.

Ich selbst musste mich nur auf meinen Schirm, das Board, die Wellen und meine Person konzentrieren. Ein ungewohntes Gefühl und eine körperliche Herausforderung, denn ich verbrachte jeden Tag Stunden mit Marschieren (was im Sand und mit einem 9m2 Schirm im Arm nicht so einfach ist), Schwimmen, ins Wasser fallen, mit der Ausrüstung kämpfen und ganz viel Wasser schlucken, sodass ich am Abend ein körperliches aber seelisch ausgeglichenes Wrack war. Mein Körper schmerzte, meine Haut brannte und ich war hungrig wie ein Wolf. Aber ich war so glücklich wie selten zuvor.

Nach meinem Training saß ich oft alleine am Strand, beobachtete das Meer und spürte diese kontinuierliche Metamorphose meiner selbst – von der funktionierenden Geschäftsfrau, Ehefrau und Mutter zu der Frau, die nichts anderes tat, als auf ihren Körper zu reagieren. Er sagte mir, wann er leistungsfähig, erschöpft, hungrig, durstig, wach oder müde war. Jeglicher mentaler Stress verflüchtigte sich und der natürliche Rhythmus des Landes (der tatsächlich viel langsamer war als der unsere) bemächtigte sich meiner. Ich hätte so etwas nicht für möglich gehalten, denn davor war ich eine bekennende Perfektionistin und ein Workoholic, doch auf Rhodos wurde ich zur entschleunigten Version meiner selbst. Wir verbrachten noch weitere vier Sommerurlaube in Griechenland (drei davon im selben Hotel auf Rhodos) und ich werde immer wieder zurückkehren, weil es für mich für mich eines der schönsten Länder ist, was Natur, Menschen, Gastfreundschaft und Lebensgefühl betrifft.

Als ich mit der Arbeit am Roman begann, war es für mich klar, dass nur Rhodos der Schauplatz für meine erste Geschichte sein konnte. Denn das war für mich der Ausgangspunkt meine Veränderung. Ich habe zwei Jahre nach unserem ersten Griechenlandurlaub meine Mitarbeit in der gemeinsamen Firma beendet und widme mich seit damals nur noch meiner Schreibleidenschaft.

Haben Sie für die Mitglieder der griechischen und österreichischen Familien Anleihen in Ihrer Verwandtschaft genommen?

Die Geschichte ist zu 100% fiktiv, aber die Menschen, die in meinem Roman vorkommen, gibt es zum großen Teil tatsächlich. Sowohl was die österreichische Verwandtschaft betrifft, als auch die griechische. Ich bin von wundervollen Menschen umgeben und habe so viele weitere auf meinem bisherigen Lebensweg getroffen, dass es fast schade wäre Energie aufzuwenden, um Charaktere zu erfinden. Ich muss sie nur beschreiben und ihnen am Papier Leben einhauchen. Manchmal verschmelzen mehrere reale Personen zu einer fiktiven, wobei die Namen alle erfunden sind – es zahlt sich also nicht aus, nach Rhodos zu reisen und Onkle Yannis zu suchen, denn die Vorlagen leben in den USA und in Slowenien.

Familie ist für Ihre Protagonistin Josephine alles. Allerdings muss sie erkennen, dass ihre Wurzeln mehr bei der griechischen Verwandtschaft liegen als in der österreichischen Heimat. Was unterscheidet diese beiden Länder denn in der Mentalität voneinander?

Generell halte ich nichts von Verallgemeinerungen, weil man eine Kultur oder ein Land nie auf einige wenige Punkte reduzieren kann – dazu sind wir Menschen zu unterschiedlich und speziell. Ich kann nur meine Sicht der Dinge bzw. meine Erfahrungen schildern, diese sind natürlich sehr subjektiv und meinen Vorlieben angepasst.

Die Griechen leben Begriffe wie „Entschleunigung“ jeden Tag, nicht weil sie faul sind, sondern weil sie Teil ihrer Kultur ist. Sie lieben es zu essen, zu trinken, sich mit Freunden zu treffen, am Leben der anderen teilzunehmen und das, was sie umgibt, zu genießen. Tatsächlich ist es in ihrem Land auch zeitweise sehr heiß, was die Produktivität tatsächlich einschränkt. Wir Österreicher sind wie viele Mittel- und Nordeuropäer sehr „gschaftig“ (österr. Wort für „geschäftig, umtriebig“) und versuchen mit viel Aufwand, unser Leben erfolgreich (auch in finanzieller Hinsicht) über die Bühne zu bringen. Wir arbeiten hart und viel und fallen am Ende des Tages erschöpft auf unser Designersofa im überteuerten Eigenheim und können kein sinnvolles Gespräch mehr führen, weil wir zu ausgelaugt sind. Um uns zu regenerieren, buchen wir exklusive und sehr teure Spa-Aufenthalte in Luxusresorts, wo man drei Tage lang versucht, uns wieder „runter zu holen“, damit wir in der darauffolgenden Woche abermals funktionieren. Meistens erfolglos, außer für den Umsatz der betreffenden Betriebe, die von überarbeitenden Managern leben.

In Griechenland setzt du dich an den Strand und siehst mal einige Stunden nichts anderes als Wasser und Wellen. Der Liegesuhl neben dir ist aus Plastik und hat schon bessere Tage gesehen. Musik gibt es heute keine, weil die Anlage die salzhaltige Luft nicht verträgt, dafür hörst du aber das Grillen der Zikaden besser. Zuerst möchtest du jede einzelne noch killen, dann wird das Geräusch zu einer Art Tinnitus und es hat eine beruhigende Wirkung. Man serviert dir ein Frappé, sprich billigen, kalten, aufgeschäumten Kaffee, der mit Illy so viel gemeinsam hat wie Skoda mit Porsche, dafür ist er so überzuckert, dass deine Glückshormone „Hurra“ schreien. Der alte Gemüsehändler, der kaum Englisch spricht, setzt sich zu dir und erzählt dir seine Lebensgeschichte inklusive einiger Tränen, weil seine Frau ihn nicht versteht. Du verstehst auch nur einen Bruchteil, tröstest ihn dann aber trotzdem und gibst auch einige Geheimnisse preis. Daraufhin lädt er dich gleich zum Abendessen mit der ganzen Familie ein, was du höflichst ablehnst – aber mit einem bezaubernden Lächeln und etwas befreit, weil er ohne dir dafür 100 Euro abzunehmen geraten hat, ganz tief in dich reinzuhören und herauszufinden, was dir gut tut. Denselben Rat bekommst du von jedem selbst ernannten Therapeuten oder Osteopathen aber eben nur für mindestens den oben genannten Betrag .

Der Snack im Garten, welcher nur selten von einem Rasenmäher gemartert wird, besteht aus griechischem Salat und hellem Brot, welches vom intellektuell fragwürdigem Kellner serviert wird. Er bringt eine Flasche Wasser und macht jeden Tag denselben Witz, über den du trotzdem laut lachst. Der Nachmittag gestaltet sich unspektakulär und du hast endlich Zeit, alle Bücher zu lesen, die seit Jahren auf deinem Nachtkästchen versauern – schade eigentlich, denn sie sind eigentlich ganz gut. Niemand will wissen, wie spät es ist und keiner hat Eile, wenn du noch einen Kaffee bestellst. Es dauert so lange es dauert und es kann sein, dass du inzwischen zweimal im Meer warst. Aber du beschwerst dich nicht, denn es hätte auch keinen Sinn – außer einem verständnislosen Blick und einer griechischen Weisheit zum Thema „Zeit“ würdest du nichts ernten.

Am Abend gibt es keine Sonderwünsche und alle sitzen um einen Tisch. Die Linsensuppe, die du zuhause skeptisch beäugen würdest, schmeckt hier wie eine Hauben-Spezialität. Nicht weil der Koch exzellent ist, sondern weil du unwahrscheinlich hungrig bist. Alle reden miteinander und du hast keine Ahnung, was sie zuhause machen und womit sie ihr Geld verdienen. Es ist nicht wichtig und keiner hat Lust, über die Arbeit zu sprechen. Danach trifft man sich an der Bar und philosophiert über das Leben und diverse Zukunftsträume, die sich wahrscheinlich nie verwirklichen werden, aber es tut gut, sie endlich einmal zu artikulieren. Alle wollen irgendwann aussteigen und am Meer leben – die einzige wahre Bestimmung – jedenfalls aus heutiger Sicht. Interessanterweise hat niemand sein Handy dabei.

Danach schleppt man sich müde ins sehr einfache und keinen Stern-werte Zimmer. Ohne Klimaanlage und mit einer Bettwäsche, die unsere Großmütter schon besitzt haben könnten. An den Sand zwischen den Zehen hat man sich inzwischen gewöhnt. Man fällt in einen tiefen, aber befreienden Schlaf, der erst irgendwann am späten Vormittag endet. Der erste Gedanke am Morgen: Schön, ist es hier. Der angenehme Mehrwehrt: es kostet fast gar nichts und wirkt nachhaltig.

Warum haben Sie den Namen Josephine ausgewählt? Hatten Sie dabei auch Josephine Baker im Sinn, wie Marco?

Meine Großmutter, bei der ich sehr viel Zeit meiner Jugend verbrachte, hatte 16 Geschwister. Eine ihrer Schwestern hieß Josefine. Wir nannten sie immer Tante Fine und machten uns als Kinder über ihren Namen lustig (in den 70ern galten die klassischen Namen nicht als cool 😉 ). Vielleicht wollte ich mich auf diese Art bei ihr entschuldigen, auch wenn sie schon lange nicht mehr unter uns weilt. Außerdem liebe ich tatsächlich den Chris Rea Song und so hat es irgendwie gepasst.

Die Lieblingsfrage der verstorbenen Tante Lisa war es, ob man lieber ein Vogel oder ein Fisch sei. Wie sind sie auf diese beiden Beispiele als Sinnbilder für zwei ganz unterschiedliche Persönlichkeitstypen gekommen?

Ganz ehrlich: mithilfe eines Lexikons für Symbole, das in meinem Bücherregal steht.

Freiheit spielt eine große Rolle für Josephine. Als berufstätige Mutter entdeckt sie erst während ihres Aufenthaltes in Griechenland, was es für sie bedeutet, wieder Flügel zu haben und unbeschwert das Leben zu genießen. Was bedeutet Freiheit für Sie?

Freiheit ist ein essentieller Bestandteil meines Lebens. Nur wenn ich das Gefühl habe, eigene Entscheidungen treffen zu können, kann ich in einer Beziehung funktionieren. Ich habe das Glück, einen sehr starken, aber niemals dominanten Partner zu haben, der damit auch gut umgehen kann. Ich denke, dass jeder Mensch ein Anrecht auf Freiheit hat – wobei für mich der Begriff „Freiheit“ sehr viel umfasst und ich hier gar nicht alles ausführen möchte. Im Buch geht es ja vorwiegend um die Freiheit selbstbestimmt durchs Leben zu gehen. Das sollte jeder leben dürfen, denn auch wenn wir uns in Beziehungen befinden, sind wir doch eigenständige Menschen, die ihre Gedanken, Wünsche, Vorlieben und Ideen haben. Dementsprechend sollte man auch handeln können – außer, wenn man dadurch andere Menschen verletzt oder vernachlässigt.

Ich kann als Mutter eines Kleinkinds schwer sagen, dass ich eigentlich gerne jeden Abend Party machen möchte, anstatt ihm eine Geschichte vorzulesen und dann über seinen Schlaf zu wachen. Ich kann aber einen Kompromiss eingehen und meinen Partner bitten, einmal die Woche/ Monat/ wie oft auch immer diese Aufgabe zu übernehmen und mir die Chance zu geben, diese „Freiheit“ auszuleben. Wenn er darauf eingeht, wird es mir besser gehen und ich werde vielleicht eine bessere Mutter/ Partnerin sein, als wenn er es mir verbietet und ich irgendwann frustriert bin. Eigentlich muss man sich nur über das Maß der Freiheiten einigen, denn dass es Freiheiten (für jeden) geben sollte, finde ich unerlässlich. Andererseits glaube ich auch nicht an Beziehungen, wo jeder nur für sich lebt und man früher oder später gar nichts mehr gemeinsam hat. Das kann auch nicht Sinn der Sache sein – dazu benötigt man keine Partnerschaft.

Wie sieht es mit einem zweiten Roman aus? Können Sie uns ein bisschen was über Ihre nächsten Projekte erzählen?

Der zweite Roman wird im Herbst 2016 erscheinen – abermals bei der edition keiper. Es handelt sich um keine Fortsetzung des ersten, es werden aber wieder die Themen Liebe, Selbsterkenntnis und ferne Länder (diesmal gibt es mehrere Locations) im Mittelpunkt stehen. Es gibt fünf männliche Protagonisten und eine weibliche Hauptperson, die durch eine Krankheit körperlich einschränkt ist und dennoch versucht ein „ganz normales“ Leben zu führen.

Der dritte Roman besteht zurzeit nur im Kopf (und dort nur ansatzweise), wo er genau spielen wird, möchte ich noch offen lassen. Kalifornien wäre aber eine attraktive Option. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen keine Möglichkeit haben, in andere Länder zu reisen und die Dinge zu erfahren, die für mich selbstverständlich sind. Deshalb möchte ich mit meinen Büchern die Chance geben, ferne Länder kennenzulernen und mit Kulturen vertraut zu werden, die der eigenen fremd sind. Viele glauben, sie kennen die griechische Kultur, weil sie ab und zu zum Griechen um die Ecke essen gehen – aber der Grieche in Griechenland

ist so viel anders als der, der irgendwann vor Jahren ausgewandert ist und sich (in meinem Fall) der österreichischen Kultur angenähert hat. Andere glauben, sie kennen das Meer, obwohl sie immer nur an der italienischen Adria Urlaub gemacht haben. Sie sind erstaunt, wenn sie plötzlich an einem pazifischen Strand stehen und dort nicht ins Wasser gehen können, weil die Wellen so gewaltig sind, dass sie jeden mit sich reißen würden. Jedes Land ist anders und bietet diverse landschaftliche und kulturelle Ausformungen – man muss sie entdecken und für sich herausfinden, was daran schön oder hässlich ist. Es gibt keine Paradiese ohne Gefahren und keine Höllen ohne Verlockungen, im Grunde kommt es nur darauf an, was man als Mensch zu sehen und erfahren bereit ist.

Vielen Dank für das Interview!