Kompakt

Einzlkind liefert eine gelungene Persiflage der ‚Kultur‘-Gesellschaft, dargebracht mit schwarz-trockenem Humor und einer herrlich unsympathischen Heldin. Vor Gretchen Morgenthaus spitzer Zunge ist niemand sicher, auch nicht der Leser.

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Autor einzlkind
Verlag Heyne
Erschienen November 2014
ISBN 978-3-453-43801-9
Seitenanzahl 240 Seiten

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Inhalt

Gretchen Morgenthau ist Intendantin, aber nicht nur das Theater ist ihre Bühne; überall wo sie erscheint, dreht sich der Mittelpunkt um sie. Allerdings nur solange bis sie wegen einer winzigen Kleinigkeit vom Londoner Gericht zu einer Strafe verurteilt wird. Dabei war Gretchen gar nicht beschwipst, als sie von der Polizei aufbehalten wurde, das Puströhrchen-Kontrollgerät der Exekutive muss einen Fehler gehabt haben. Auch der Totalschaden des Einsatzfahrzeuges war ein Unfall, ein Fauxpas quasi … Doch jegliches Erklären hilft nichts, die Intendantin wird ins Exil abgeschoben. Auf der isländischen Insel Gwynfaer soll sie innerhalb von vier Wochen mit den Einwohnern ein Theaterstück proben. Wer ist damit aber mehr gestraft – Gretchen oder die Insulaner?

Stil und Charaktere

Gretchen Morgenthau zählt zu jenen Persönlichkeiten, die zwar große Taten vollbringen, deren Charakter aber etwas gewöhnungsbedürftig ist. Die Intendantin ist sehr von sich überzeugt – von ihrer erlesenen Kulinarik (Rosinen im Apfelstrudel sind eine Sünde), ihren praktischen Fähigkeiten im Angesicht der Not (vier Überseekoffer Luxusklamotten für vier Wochen Island-Aufenthalt) und ihrer Trinkfestigkeit, mit der sie schon so manchen Mann unter den Tisch gesoffen hat.

An ihrer erzählerischen Seite steht der junge Kyell, der auf Gwynfaer aufgewachsen ist und nun als fast Erwachsener seinen Platz im Gemeindeleben finden muss. Immerhin konnte er schon herausfinden, für welche Berufe er keine Begabung besitzt, zum Beispiel als Tierarzt (ein dramatischer Unfall durch einen Hundekeks – mit Todesfolge) oder Gitarrist einer anarchischen Band. Beide berichten kapitelweise abwechselnd von den Geschehnisse, die in Gwynfaer und London passieren. Erstaunlicherweise harmonieren diese zwei so unterschiedlichen Protagonisten bei ihrem Aufeinandertreffen, auch wenn sie sich erst gegen Ende gewissermaßen mögen …

Die Grand-Dame des Theaters bringt es mit sich, dass in diesem Roman auch eine Menge über die Bühne dramatisiert, monologisiert und exaltiert wird. Gretchens Liebe zu dieser Kunst entstand im Burgtheater und sie war rasch davon überzeugt, wo ihre Bestimmung liegt. Stellenweise lässt einzlkind anklingen, dass dieser Weg als Frau nicht leicht war, doch wer wäre Gretchen, wenn sie sich nicht durchsetzen könnte. Die gebürtige Wienerin philosophiert oft über das Kulturleben der österreichischen Hauptstadt. Und wenn man sich ein wenig mit der dortigen Theaterlandschaft auskennt, laden ihre Geschichte zum Schmunzeln und manchmal sogar zum lauthals Lachen ein. Besonders dann, wenn Möchtegerns ihrem angeblichen Wissen Ausdruck verleihen und mit Fachbegriffen um sich werfen. Oder auch dann, wenn das Theater an sich persifliert wird – wie bei dem Vorschlag von Gretchens Regieassistenten Tuve, doch Zombie Pauls „Audio Spasti: Tapete in Systemstruktur geht gar nicht“ zu inszenieren:

„Und ein sehr existenzialistisches Stück. Es geht in Richtung Ravenhill und Sarah Kane, Sie wissen schon, psychotische Obsession gepaart mit Dystopie. Nur wesentlich gewagter. Und richtig schick. Ein Mann rennt im Repeatmodus gegen eine Wand und liest dabei von seinem Einkaufszettel ab. Sein bester Freund ist ein bisexueller Mehlwurm auf Opium. Dazu Tänzer, die in Föten-Kostümen zu Death Metal von Cannibal Corpse im Viervierteltakt Hühner köpfen, echte natürlich. Bei der Choreographie dachte ich an eine Mischung aus Davies, Forsyth und Bausch.“

Tja, es verwundert nicht, dass Gretchen von dieser Idee not amused ist. Der Leser hingegen amüsiert sich von Anfang bis Ende. Ihre Vorliebe für Thomas Bernhard verpackt der Autor nämlich in ebenso beißende Dialoge und haarsträubende Szenerien, dass es für Liebhaber tiefschwarz-staubtrockenen Humors ein satirisches Vergnügen ist. Und abseits dieser Endverwerter-Heiterkeit ist sehr interessant, dass sich die so schillernde Hauptfigur einer durchgehenden Charakterisierung entzieht. Diese vermag es, zu verblüffen; eine Seltenheit in der literarischen Masse und darum ist dieser Roman umso lesenswerter.

Aufmachung

Die Klappbroschur besitzt ein schlichtes Cover, das eine verschwommene Frauenfigur zeigt. Auf der vorderen Klappe steht ein Zitat zu Gretchens – gut erhaltenem – Äußeren. Das unscharfe Titelbild trifft es jedoch eher als der kurze Ausschnitt, denn Gretchen Morgenthau ist zwar die Erzählerin dieses Romans, entzieht sich aber erfolgreich jeglicher charakterlichen Festlegung.

Dieser entsagt sich auch der Autor. Neben der üblichen Inhaltsangabe auf der Rückseite zeigt die hinteren Klappe eine Kurzbiographie, die aufgrund ihrer Fakten-Leere diesen Begriff eigentlich gar nicht verdient. Ein Foto ist auch dabei, auf dem verdeckt einzlkind allerdings sein Gesicht und gibt nichts von sich preis – außer vielleicht die Tatsache, dass er ein Mensch und eine Videokassette ist, aber lesen Sie einfach selbst …

Der Inhalt umfasst 28 Kapitel und ist in drei Teile geteilt.

Ähnliche Titel

„Harold“ (einzlkind – Roman); Hänsel-und-Gretel-Krimis von P. J. Bracksten; „Bücher auf Rädern“ (Ian Samson – Roman); „Die merkwürdigen aber wahren Abenteuer des Sam Apple nach der Paarung“ (Sam Apple – Roman)

Herzlichen Dank an Heyne für das Rezensionsexemplar.

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