Kompakt

Witold Pilecki ist der erste und einzige bekannte Mensch, der sich freiwillig in ein Konzentrationslager begab. Neben dem Einblick in den Lageralltag berichtet der Autor vom Wandel Auschwitz‘ in ein Vernichtungslager. Ein Zeitzeugnis, das zwar sachlich erzählt ist, aber emotional bewegt – und deutlich macht: Vergessen ist keine Option.

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Witold Pilecki – Freiwillig nach Auschwitz
Autor Witold Pilecki
Übersetzung Dagmar Mallett
Verlag Orell Füssli
Erschienen Dezember 2013
ISBN 978-3-2800-5511-3
Seitenanzahl 256 Seiten

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Inhalt

Rittmeister Witold Pilecki (1901-1948) gründete 1939 gemeinsam mit Jan Włodarkiewicz eine der ersten polnischen Untergrundorganisationen, die „Tajna Armia Polska“ (Geheime polnische Armee), die später in die „Armia Krajowa“ (Heimatarmee) integriert wurde. Er entwarf den Plan, sich in das KZ Auschwitz einschleusen zu lassen, um von innen Widerstand zu organisieren und eines Tages das Lager übernehmen zu können. Unter dem falschen Namen Tomas Serafinski ließ er sich daher 1940 bei einer SS-Razzia erwischen.

Zu diesem Zeitpunkt wurde Auschwitz noch für ein Internierungslager oder großes Gefängnis gehalten. Wie sehr sich Pilecki und alle anderen darin geirrt haben, wird ihm in den ersten Tagen bereits klar – darüber täuscht auch nicht die ironische Überschrift über dem Haupteingang hinweg: „Arbeit macht frei“.

Pilecki wurde als politischer Gefangener mit einer roten Stoffdreieck gekennzeichnet, seine Häftlingsnummer lautete 4589. In Auschwitz gründete er die „Związek Organizacji Wojskowej“ (Vereinigung militärischer Organisationen). Dieser Zusammenschluss lieferte u.a. Informationen über das Lager nach außen – auch zu den Alliierten und der polnischen Exil-Regierung in London, die den drastischen Schilderungen jedoch keinen Glauben schenkten. Als nach langem Warten keinerlei Hilfe oder Unterstützung eintraf, entschloss sich Pilecki gemeinsam mit einem Kameraden 1943 zur Flucht. Kurz danach schrieb er seinen ersten Bericht über das KZ nieder. Die Grundlage dieses Buches ist Pileckis dritter und finaler Bericht, der 1945 erschien.

1948 wurde Pilecki von den Kommunisten wegen Spionage zum Tode verurteilt.

Stil und Verständnis

Norman Davies, ein britisch-polnischer Historiker, verfasste die Einleitung zu diesem Zeitzeugenbericht. Darin warnt er vor falschen Vorstellungen über den Zweiten Weltkrieg. Es gab damals nicht das eine ‚böse‘ Regime in Form der Deutschen. An diesem Krieg waren mehrere Systeme beteiligt, die mitunter – um es salopp auszudrücken – ‚Dreck am Stecken‘ hatten. Auch die Konzentrationslager waren keine genuin germanische Erfindung (Stichwort Gulag). Beides sind Hinweise auf Tatsachen, die, vor allem im Schulunterricht, leider immer wieder vernachlässigt werden, aber wichtig im Kopf zu behalten sind.

Die deutsche Fassung von Pileckis Bericht beruht auf der ersten Übersetzung vom Polnischen ins Amerikanische Englisch, die 2012 von Jarek Garlinski angefertigt wurde. Dieser schrieb auch die Einleitung sowie die historische Verortung, die dem eigentlichen Bericht vorangestellt sind. Die Hintergrundbeschreibung liefert kurz und knapp ein Bündel an Informationen, dem ein wenig mehr Umfang nicht geschadet hätte. Fünf Seiten davon sind mit Schwarz-Weiß-Fotografien ausgestattet, die Pilecki mitsamt seiner Familie darstellen. Diese sind (zumindest gefühlt) wahllos zwischen den Text gestreut, was beim Lesen verwirrt. Eine Bündelung am Ende der Historien-Passage wäre gut gewesen.

Doch genug von der Vorbereitung auf Pileckis Bericht. Nun zum Eigentlichen … Drei Jahre verbringt der Rittmeister im Konzentrationslager Auschwitz – und diese sind durch Gewalt geprägt: Folter bei der Gefangennahme, unzumutbare Zustände beim Transport zum Lager und ein (Arbeits-)Alltag, der das Recht des Stärkeren zur Norm erhebt. „Die Gewehrkolben der SS trafen nicht nur unsere Köpfe, sondern auch viel Mächtigeres. Unsere Vorstellungen von Recht und Ordnung und aller Normalität, alles, woran wir uns im Leben gewöhnt haben, bekam einen brutalen Tritt.“ (S. 37)

Natürlich sind Zeitzeugenberichte und Literatur über die NS-Zeit kein Novum, dennoch schockt deren Lektüre jedes Mal erneut. Pileckis Bericht liefert keine unbekannten Tatsachen oder wartet mit einer innovativen Erzähltechnik auf. Das Besondere daran ist die Unmittelbarkeit, die direkte Art, in der er schreibt. Obgleich dies seine dritte Niederschrift über die Erlebnisse im Lager ist, bemerkt er selbst, dass er – aufgrund der Hast beim Verfassen – keine Zeit für Korrekturen, Verharmlosungen oder gar Beschönigungen hatte. Manche Erlebnisse mögen dem Leser wie Wiederholungen vorkommen, aber auch das ist nicht ’schlimm‘. Wobei man sich beim Lesen unweigerlich fragt, ob der Ausdruck ’schlimm‘ in Anbetracht dieser Schilderungen überhaupt noch Bedeutung hat …

Das, was vielleicht am meisten trifft, ist gar nicht die Zwangsarbeit oder die menschliche Vernichtungsmaschinerie, die beide nur daran interessiert waren, möglichst schnelle und zahlreiche Tode zu produzieren. Das Grausamste war die Normalität von nebenan, die den Lageralltag durch ihre bloße Existenz karikierte: „Beim Rückmarsch abends begegneten wir jungen Liebespaaren, die spazieren gingen, um die Schönheit des Frühlings zu genießen, und Frauen, die friedvoll ihren Kinderwagen schoben. Dann drängte sich immer der unangenehme Gedanke auf, den man sonst unterdrückte, die Frage, für die es keine Lösung gab: Waren wir denn alle … Menschen? Diejenigen, die zwischen den Blumen spazieren gingen, genauso wie die anderen, die in die Gaskammern geschickt wurden?“ (S. 148)

Witold Pileckis Werk trägt dazu bei, die Erinnerung an das Grauen des Zweiten Weltkrieges aufrecht zu erhalten. Das Vergessen dieser Ereignisse wäre tragisch, da damit auch diejenigen verschwinden würden, derer die Zeitzeugen gedenken.

Aufmachung

Das Hardcover besitzt einen schlicht gehaltenen Schutzumschlag, auf dessen Rückseite sich ein kurzes Zitat befindet. Auf der linken Umschlagseite steht eine Inhaltsbeschreibung, auf der rechten eine Kurzbiographie Pileckis.

Das Buch selbst ist weiß gebunden und startet mit einer Einleitung von Norman Davies. Danach folgt eine Vorbemerkung des Übersetzers der US-amerikanischen Ausgabe, Jarek Galinski. Dieser liefert ebenso eine kurze historische Hintergrund-Verortung. Dann beginnt der eigentliche Inhalt, Witold Pileckis Bericht samt Begleitschreiben, der rund 2/3 des Inhalts einnimmt.

Ähnliche Titel

„Kommandant in Auschwitz: Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß“ (Maria Broszat – Sachbuch); „Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse“ (Rainer Engelmann – Sachbuch); „Auschwitz: Geschichte eines Verbrechens“ (Laurence Rees – Sachbuch)

Herzlichen Dank an Orell Füssli für das Rezensionsexemplar.

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