Kompakt:

105 Jahre und kein bisschen leise erzählt Rose ihre Lebensgeschichte, die sie von Trapezunt, über Paris nach Berlin mitten in die Wirren des Zweiten Weltkriegs führt – ein ungewöhnlicher Roman mit einer ebenso kecken Heldin!

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Franz-Olivier Giesbert – Ein Diktator zum Dessert Originaltitel La cuisinère d’Himmler
Autor Franz-Olivier Giesbert
Übersetzung Katrin Segerer
Verlag carl’s books
Erschienen März 2015
ISBN 978-3-570-58538-2
Seitenanzahl 336 Seiten

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Inhalt

Rose wird 1907 auf einem Baum geboren, in Trapezunt am Schwarzen Meer. Doch als Christen fiel ihre Familie sieben Jahre später dem Armenischen Völkermord zum Opfer. Rose überlebt als Einzige und kommt über Umwege nach Marseille, wo sie als Bettlerin beginnt und schließlich in Paris ihr eigenes Restaurant, das „La petite Provence“, eröffnet. Ihr Glück wird jedoch von den Ereignissen des zweiten Weltkriegs überschattet, die sie auf unerwartete Weise in Kontakt mit Heinrich Himmler bringt …

Stil

„Ein Diktator zum Dessert“ erweckt in der deutschen Fassung einen gänzlich anderen als in der original französischen. Während das Cover dort mit einem opulenten Obst- und Gemüsestillleben oder in einer ganz schlichten Variante beworben wird, greift der deutsche Verlag auf eine schemenhafte Krabbe zurück. In Anbetracht dessen, dass Krabbensoufflé an Hummersauce das Lieblingsgericht von Roses Tochter Garance war, ist das ein toller Schachzug! In Verbindung mit dem Titel wirkt die Krabbe jedoch gewöhnungsbedürftig, passt sie doch weder zum Dessert noch zum Diktator und ist für jene, die den Inhalt des Buches noch nicht kennen, wohl unverständlich.

Unabhängig davon lassen sowohl der Titel als auch der Klappentext eben jenen Lebensabschnitt der Protagonistin, der den Schwerpunkt bildet, aus. Nämlich Roses Zeit als Köchin von Heinrich Himmler und ihre intime, zwiegespaltene Beziehung zu den Spitzen der nationalsozialistischen Hierarchie. (Mich würden die Hintergründe dafür ja brennend interessieren …)

Wenn Sie sich jedoch nicht scheuen, eine kreative Auseinandersetzung mit den Schergen des Zweiten Weltkriegs und einer schwarzhumorigen, stets lebensfreudige Protagonistin in die Hand zu nehmen, dann riskieren sie einen Blick in Giesberts Roman! Seine Heldin – wobei, in Anbetracht ihrer moralisch nicht einwandfreien Weltsicht ist sie als solche sicherlich zu diskutieren –  Rose erzählt aus der Ich-Perspektive und startet damit im Jahr 2012. Mitten in Marseille beschließt sie, durch einen geheimnisvollen Brief angeregt, ihre Memoiren niederzuschreiben. Sehr praktisch ist, dass die insgesamt 50 Kapitel pointierte Titel tragen und Zeit plus Ort sogleich zu Anfang vermerken. Ihre Lebensgeschichte berichtet Rose chronologisch, kehrt dabei aber regelmäßig in die Gegenwart zurück. Sie wendet sich immer wieder an die Leser, spricht sie mit „ihr“ an und bezieht sie in ihre Vita ein.

Der sympathische Stil, die ungewöhnliche Protagonistin und der – mit der Zeit immer tollkühner werdende – Plot reißen mit und machen die Lektüre zu einem aufregenden Abenteuerspaziergang durch die großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Franz-Olivier Giesbert spickt seinen Roman mit einer Dosis Geschichtsunterricht in pointierter, lebensnaher und gerade im Bezug auf die NS-Zeit ungewöhnliche Form. Hatten Sie schon einmal Mitleid mit Heinrich Himmler? Wohl kaum. Hier werden Sie eines Besseren belehrt, denn Rose lernt ihn auf intensive Weise kennen. Wie Fakt und Fiktion zueinander stehen, wäre äußerst spannend zu erfahren, wird vom Autor im Figurenglossar aber leider nicht erläutert, schade.

Um Ihnen einen kleinen Eindruck von Rose zu bieten, ist ein Zitat am besten geeignet: „Hat man ein so hohes Alter erreicht wie ich, dann weiß man, dass die Menschen viel lebendiger in uns sind, wenn sie bereits das Zeitliche gesegnet haben. Sterben bedeutet also nicht, dass man verschwindet, vielmehr wird man in den Köpfen der anderen wiedergeboren.“ (S. 12) So ergeht es einem auch nach der Lektüre des Romans, denn Roses unbeschwerte Art, das Leben trotz aller Widrigkeiten zu genießen, hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

Aufmachung

Die Klappbroschur im A5-Format besticht durch ihr schlichtes Cover. Auf der vorderen Klappe befindet sich eine erweiterte Version des Klappentextes, auf der hinteren gibt es wie üblich eine Autorenvita samt Foto.

Der Roman startet mit einem Prolog, umfasst 50 betitelte Kapitel und endet mit einem Epilog. Danach folgen Rezepte aus dem „La petite Provence“, ein Glossar (für Personen oder Speisen), weiterführende Literatur zu den Ereignissen des 20. Jahrhunderts sowie ein Quellenverzeichnis.

Ähnliche Titel

„Madame Mallory und der kleine indische Küchenchef“ (Richard C. Morais – Roman); „Bittersüße Schokolade“ (Laura Esquivel – Roman); „Der Duft von Schokolade“ (Ewald Arenz – Roman)

Herzlichen Dank an carl’s books für das Rezensionsexemplar.