Kompakt

Was wäre, wenn es ein Etwas gäbe, das über die Menschen richtet und für eine gerechte Welt sorgt? Mary Shelley träumt von einem Quantencomputer, der alles Böse auslöschen soll, und Marc Buhl lässt diese Vorstellung in seinem packenden, ausführlich recherchierten Roman wahr werden.

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Marc Buhl – Die Auslöschung der Mary Shelley
Autor Marc Buhl
Verlag BLiNK BOOKS
Erschienen September 2014
ISBN 978-3-95837-001-2
Seitenanzahl 294 Seiten

Inhalt

Mary Shelley, MIT-Absolventin in Biologie und Informatik, arbeitet bei Powell Ltd. daran, als weltweit erste Firma einen Quantencomputer zu bauen. Was keiner ahnt: Gemeinsam mit ihrem Kollegen Logovski möchte sie verhindern, dass die NSA – interner Geldgeber und Drahtzieher – die Erfindung zu ihren eigenen Zwecken nutzt. Dazu manipulieren sie den Computer, indem Mary heimlich genetische Algorithmen eingespielt hat. Diese schaffen durch Zufall Neues und selektieren die besten Programme, ein evolutionärer Prozess wird simuliert: das Ziel ist VICTOR, eine „Virtual Identity Creating a better Tomorrow“. Mary hat am eigenen Leib erlebt, wie viel Leid auf der Welt geschieht und will mithilfe des Quantencomputers dagegen vorgehen. Noch glaubt sie an das Gute in ihm, doch schnell wird klar, dass die künstliche Intelligenz allen weit überlegen ist und das macht, was sie als richtig erachtet …

Stil und Charaktere

Marc Buhl beginnt sein Buch mit einer Warnung, die den Leser gleich mitten ins Geschehen katapultiert und zu einem Teil der Geschichte werden lässt: „Wenn du glaubst, nur du würdest gleich beginnen zu lesen, täuscht du dich. Dein E-Book ist ein Computer. Unterschätze das nicht. Unterschätze nie einen Computer. Bereits in diesem Moment liest dich der Text.“ Diese ist allerdings nur in der E-Book-Ausgabe enthalten, da sie im papiernen Buch ihren Sinn verliert.

Neben dieser Warnung wartet Mary gleich mit einer viel erschreckenderen Wahrheit auf. Doch ihr Traum, ein globales Kontrollsystem zu schaffen, das live bewertet und sanktioniert, ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern existiert bereits in fast jedem Haushalt – das Internet. Dieses ist allwissend, übersteigt die endlichen Erfahrungen der Menschen, ist transzendent und ein endloser Quell des Wissens: „Menschen brauchen eine höhere Instanz, um bessere Menschen zu werden. Eine Instanz, die alles weiß. Jeden Einzelnen sieht. Grenzenlos ist. Allumfassend. Nie etwas vergisst. Sie müsste die Macht haben, jedes Fehlverhalten zu erkennen und umgehend zu sanktionieren.“

Die Motivation Marys, die hinter allem steckt, ist per se gut: Leid reduzieren, Gerechtigkeit maximieren. Die Frage danach, warum Menschen leiden, wo es doch einen guten, allwissenden Gott gibt, entstammt dem Theodizee-Gedanken. Auch wenn Mary trotz des Besuchs einer Klosterschule nicht an Gott glaubt, sehnt sie sich – ohne es anfangs zu realisieren – nach etwas Göttlichem, das die ultimative rechtsprechende Instanz symbolisiert. Diese Wahrheit erkennt allein ihr Bruder Frank, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um seine Schwester geht. Ihm gegenüber erklärt Mary auch, was für ein Wesen sie schaffen möchte: „Das Netz ist ein schlafender Gott. Ein Gott in Ketten, sich seiner selbst nicht bewusst. Alles, was wir tun müssen, ist ihn zum Leben erwecken. Für Ana. Für alle, die leiden. Das Internet ist kein Werkzeug, um Mails zu versenden und Pornos zu schauen. Es ist viel mehr. Ein Weltentwurf, der alles verändert. Das Internet 2.0. verbindet die Menschen miteinander. Mein Netz 3.0 verbindet die Menschen mit einem neuen Gott.“

Umso erstaunlicher ist, dass Marc Buhl seine Mary niemals unsympathisch wirken lässt, denn selbst in ihrer Manie, die Welt und den Computer zu ‚retten‘ (bzw. umzuschreiben), bleibt sie menschlich und ihre Gefühle nachvollziehbar. Diese Idee eines gottähnlichen Computers ist übrigens keine neue. Isaac Asimov hat bereits 1956 in seiner Erzählung „The Last Question“ einen Supercomputer entworfen, der als Antwort auf die Frage, wie das Ende des Universums verhindert werden könne, „Let there be light“ liefert. Die Erkenntnis nutzte jedoch nicht mehr viel, da die Antwortfindung zu lange gedauert hat und das Universum mittlerweile passé war …

Heutzutage greift das Bedürfnis des Menschen nach Schutz bereits in die raumplanerische Gestaltung von Städten ein, was ebenfalls in den Roman übernommen wurde. „Smart Cities“, z. B. Rio oder Singapur, sammeln jede Menge Daten, um ihren Bewohnern das Leben einfacher zu machen. Videoüberwachung soll zu mehr Sicherheit führen, Temperatur- und Wettersensoren, intelligente Straßenbeleuchtungen sorgen für entsprechende Warnungen und Wohlfühl-Faktor. Worin diese Form der steten Überwachung resultieren kann, zeigt der Buhl’sche Victor auf. Er kann jedes elektronische, mit dem Internet verbundene Gerät besetzen: Alarmanlagen, SmartCars, Putzroboter oder Flugzeuge. Übrigens, die heutigen Top-3 der – bekannten – Supercomputer (Stand November 2014 lt. Wikipedia) stammen aus China (Tianhe-2) und Amerika (Titan, Sequoia). Kein Wunder, dass die fiktive Firma Powell Ltd. stets Angst hat, dass die Chinesen ihnen mit dem Bau eines Quantencomputers oder mit einem Angriff auf diesen zuvorkommen.

Der Wunsch nach Sicherheit und Gerechtigkeit entspringt menschlichen Urbedürfnissen; dass Wünsche jedoch gefährlich sind und sich verselbstständigen können, zeigt bereits der Film „The Butterfly Effect“. Mit einem ähnlichen Schockeffekt wartet auch dieser Roman auf, der zeigt, wie smart die Welt eigentlich schon ist, denn alle erzählten Szenarien sind ohne große Probleme vorstellbar. Marc Buhl webt einen großen Schatz an Hintergrund- und Detailwissen geschickt in seine Geschichte ein und wirkt an keiner Stelle belehrend. Der einzig kleine Kritikpunkt sind die zahlreichen Figuren und die damit einhergehenden Ortswechsel. Eine kurze stichwortartige Lokalisierung zu Anfang der Kapitel hätte der Leser-Orientierung doch geholfen.

BLiNK BOOKS möchte eine neue Art des Geschichtenerzählers zeigen, die das Medium Buch verlässt – und das ist ihnen in diesem Fall auch sehr gut gelungen. „Die Auslöschung der Mary Shelley“ besitzt ein offenes (aber nicht zu offenes) Ende, das auf der Verlagsseite weitererzählt wird. In „Die Offenbarung der Mary Shelley“ berichtet Mary in einem Blog von ihrer Flucht nach Berlin und was sie dort erlebt. Die Geschichte geht weiter – auf Facebook, Instagram und dem Blog. Leider gibt es jedoch ein paar Ungereimtheiten zwischen Blog und Roman. Marys Mutter starb, als diese vier Jahre alt war, konnte ihr aber zum Beispiel dennoch einen Spruch über Gewinnen/Verlieren einbläuen, den Mary im Blog erwähnt. Auch die Tonalität der Blogeinträge zeigt eine andere Mary als die des Romans – wobei dieser ja streng genommen von Victor verfasst wurde (aber davon lassen Sie sich am besten selbst überraschen) …

Fazit: Wer sich an Marc Buhls Roman heranwagt, wird es nicht bereuen, kann aber mit einigen, vielleicht auch unliebsamen, Denkanstößen rechnen.

Aufmachung

Das E-Book beginnt mit der Coverabbildung, einem Impressum und startet dann mit zwei Zitaten von Pythagoras und Gottfried Leibniz in den Inhalt. Dieser eröffnet mit einer Warnung an den Leser und umfasst 74 – überschriftlose – Kapitel.

Der Text endet mit einer Danksagung, die im Namen von Victor erfolgt, der sich als eigentlicher Autor des Buchs outet und Marc Buhls Namen käuflich erworben hat. Dessen Mini-Vita bildet den Abschluss des E-Books.

Ähnliche Titel

„Sie wissen alles“ (Yvonne Hofstetter – Sachbuch), „Digitale Diktatur“ (Stefan Aust, Thomas Ammann – Sachbuch); „Wem gehört die Zukunft“ (Jaron Lanier – Sachbuch); „Das System“ (Karl Olsberg – Thriller)

Herzlichen Dank an BLiNK BOOKS für das Rezensionsexemplar.

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