Richard Doetsch ist der Autor der großartigen Serie um Michael St. Pierre und „Die 13. Stunde“ (The 13th Hour). Seine Romane mischen liebenswerte Helden mit Abenteuer und temporeicher Action. (Foto: Copyright Bastei Lübbe)

Danke, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen.

Michael St. Pierres Abenteuer sind eine Mischung von „The Saint“ und „Indiana Jones“. Was war Ihre Inspiration und weshalb wählten Sie einen Dieb?

Als ich mich vor einigen Jahren hinsetzte, um mein erstes Buch zu schreiben, wollte ich einen Charakter erschaffen, der eigen war. So viele Charaktere in beliebten Romanen basieren auf Polizisten, Militärpersonen, Detektiven, dass ich etwas haben wollte, das anders war, frisch und neu. Ich liebe den Antihelden, diesen Butch Cassidy-/Robin Hood-Typ, diese liebenswerten Charaktere, die, obwohl sie die Gesetze des Landes brechen, immer noch das Richtige tun. Für mich werden strahlende Ritter, die guten Sheriffs oder Gutmenschen langweilig, vorhersehbar. Ich denke, dass es als Thriller-Autor in meiner Verantwortung liegt, zu unterhalten, den Leser mitfiebern zu lassen, einzubeziehen und dazu zu bringen, dass er die Seiten so rasch umblättert, wie er kann. Um das zu erreichen, brauchte ich jemanden, der den Status Quo herausfordern würde, der alles tun würde – auch das Gesetz der Menschen, des Herzens und Gottes zu brechen -, um sein Ziel zu erreichen. Ich musste jemanden erschaffen, über den zu schreiben Spaß machen würde – nicht nur ein Buch lang, sondern über eine ganze Reihe hinweg -, daher entschied ich mich für einen Dieb.

Michael St. Pierre ist sehr er selbst. Man sagt, dass man über das schreiben soll, was man kennt, daher machte ich das. Seine Gedanken, Gefühle und Sichtweisen sind Spiegelungen meiner eigenen. Seine Fähigkeiten, wie Skydiving, Sporttauchen und seine Liebe für Extremsport, stammen direkt aus meinem Leben; seine Sorge um die, die er liebt, liegt mir sehr nahe und ist das, was ihn und mich im Leben und meinen verschiedenen Abenteuern antreibt. Wenn Sie Michael St. Pierre kennen, kennen Sie in Wahrheit mich. Das ist etwas, das meine engen Freunde und Familienmitglieder erkennen und womit sie mich deshalb ständig aufziehen.

Ihre Helden – jeder einzelne – sind erfrischend frei von psychologischen Problemen und gruseligen Eheproblemen. Wie wichtig ist es für Sie, sie liebenswert zu machen?

Einige Leute haben einen Moment der Tragödie, des Leids oder des Verlusts, der sie definiert, andere werden von ihren Erfolgen, ihren Familien, ihren Triumphen definiert. In Wahrheit haben wir alle ein wenig von beidem, und ich versuche, das in meinen Charakteren widerzuspiegeln. Aber ich versuche als Schriftsteller die Geisteshaltung meiner Helden auf das Positive auszurichten. Sie ertragen Achterbahn-Abenteuer, die sie und ihre Lieben in Gefahr bringen, und ihre Gefühle durcheinander wirbeln, daher will ich ihnen eine starke Basis geben, aus der sie Kraft ziehen können. Die Hoffnung ist in meinen Geschichten immer lebendig und sie entstammt den starken Beziehungen um die Helden herum.

Ich glaube, dass es sehr wichtig für den Leser ist, sich mit einem Charakter identifizieren zu können, sich um ihn zu sorgen, denn wenn man das tut, wird man tiefer in die Geschichte gezogen, die Cliffhanger werden dramatischer, die Gefahr akuter. Wenn eine Million Leute in Gefahr sind, fühlen wir mit, aber wenn ein geliebter Mensch in Gefahr ist, bluten wir für den Helden, wir fühlen das, was er gerade erleidet, und die Reise des Charakters wird persönlich.

Alle Ihre Romane beinhalten eine Art paranormaler Ereignisse. Warum wählten Sie diesen besonderen Dreh, ohne den „normalen“ Weg zu gehen und in der so genannten Realität zu bleiben?

Ich habe immer einen Hauch Übernatürliches in meinen Büchern, aber nie etwas, das den Leser aus der Geschichte zieht und das Eintauchen in die Handlung zu schwer macht. Ich mag einen Hauch Magie, den Moment, in dem man eine Legende sieht oder das, was sich auf der anderen Seite befindet. 99% meiner Geschichten basiert auf der Realität, es wird aber immer eine Spur von etwas Fantastischem einbezogen, um der Handlung ein wenig Schärfe zu verleihen.

Es ist interessant, dass meine Romane, egal ob es sich um „Der Dunkle Pfad Gottes“ (The Thieves of Heaven), „Die 13. Stunde“ (The 13th Hour) oder meinen neuesten Roman „Half-Past Dawn“ handelt, immer als Thriller oder Krimis eingestuft und von einer Leserschaft gelesen werden, die nie den kleinen Bereich des Übernatürlichen, den ich einbaue, hinterfragt. Auch Leser von Science-Fiction oder Fantasy scheinen meine Bücher zu genießen, da sie auf gewisse Weise Realität in das Genre bringen, das sie normalerweise bevorzugen.

Es ist wichtig für den Autor, kreativ zu sein, außerhalb der normalen Grenzen zu denken. Auf gleiche Weise versuche ich einzigartige Charaktere zu erschaffen. Ich versuche einzigartige Geschichten zu erschaffen, die nicht einfach ein weiterer Kriminalfall, eine weitere Aufgabe oder eine weitere globale Krise sind. Eine Prise des Fantastischen in einer ansonsten realitätsnahen Welt hilft mir dabei, das zu erreichen.

Wie recherchieren Sie – ich denke dabei besonders an die Archäologieszenen in Ihrem „Der Dieb der Finsternis“ (The Thieves of Darkness), das im September 2012 auf deutsch bei Bastei Lübbe erscheinen wird?

Ich erfuhr vor vielen Jahren von der Karte des Piri Reis und war sofort fasziniert. Hier gab es eine Karte, die 1513 gezeichnet worden war und die Landmasse der Antarktis zeigte, eines Kontinents, der über sechstausend Jahre lang von Eis bedeckt war. Und das alles, lange bevor man annimmt, dass der Mensch über die offenen Ozeane segelte. Was meine Gedanken wirklich auf Touren brachte, war die Tatsache, dass der östliche Teil der Karte fehlte und was dort wohl hätte dargestellt sein können. Daraus wurde „Der Dieb der Finsternis“ geboren.

Da die Karte aus dem osmanischen Reich stammte, musste ich jeden Quadratmeter des Topkapi-Palastes, der Hagia Sofia und der Zisternen unter Istanbul kennen, damit ich alles vor meinem geistigen Auge sehen konnte, wenn Michael St. Pierre dort herumlief. Ich hockte über Büchern und Artikeln und sowohl alten wie auch neuen Karten. Ich bedeckte meinen Tisch und mein Schreibzimmer mit Fotografien für eine bestimmte Szene, die ich schreiben würde, um mich in diese Welt zu versetzen, damit meine Sinne alles durch meinen Geist auf die Seite filterten.

Istanbul und seine Vorgänger wie Konstantinopel, Byzanz etc. waren durch mehrere verschiedene Imperien, wie das oströmische, das latinische und das osmanische, das Zentrum der Welt und wurde dadurch mit einem reichen Erbe ausgestattet, das leider immer wieder durch erobernde Regime verstreut wurde. Indem ich viel gegraben habe, bin ich auf immense Dateien und Wissen gestoßen, das ein Großteil der Welt bisher noch nicht gesehen hat und mir geholfen hat, meiner Geschichte einen reichhaltigen Hintergrund zu verleihen.

Wie behalten Sie den Überblick über die Orte, die Michael schon besucht hat, und über die Handlungen?

Ich habe das große Glück, dass ich ein sehr gutes Gedächtnis habe, sogar zurück bis in meine frühe Kindheit. Ich erinnere mich an Ereignisse, daran, was die Leute sagen, die Farben und Gerüche um mich herum; ich erinnere mich an nahezu alles außer Nummern und Namen. Das hat sich als mein großartigstes Werkzeug erwiesen, da ich mich aus so vielen meiner Lebenserfahrungen bedienen kann, um meine Romane zu bereichern. Wenn ich mich hinsetze, um eine neue Geschichte zu schreiben, erinnere ich mich an Michaels vergangene Abenteuer, wie wenn es meine eigenen gewesen wären. Wenn daher mein Stift das Papier berührt, ist die Geschichte frisch und neu, daher habe ich nie Angst, mich zu wiederholen.

Ihre weiblichen Charaktere sind stark, ohne maskulin zu sein. Erhalten Sie von Ihrer Frau dahingehend Hilfe? 😉

Ich hasse es, wenn ein Schriftsteller seine Geschichten mit „Frauen in arger Not“ bevölkert. Ich glaube, dass eine Frau stark und zugleich feminin sein kann, genauso wie ein Mann taff sein und trotzdem Herz haben kann. KC stammt nicht nur von Charakteristiken meiner Frau, sondern auch denen einiger enger weiblicher Freunde ab. Eine davon hat tatsächlich ihre Schwester erzogen. Sie war dreizehn Jahre alt, ihre Schwester sechs, und ihre Eltern hatten „Probleme“. Mit einer anderen Frau habe ich für Abenteuerrennen trainiert. Sie gibt nie auf und hat einige Höhen und Tiefen in ihrem Leben überstanden, die sie immer mit einer kämpferischen Hartnäckigkeit und einem Lächeln gemeistert hat.

Ich glaube, dass starke weibliche Charaktere für eine dynamischere Geschichte sorgen, die eine reichhaltigere Textur und so viel mehr Möglichkeiten für Spaß bietet.

Aus welchen Gründen würden Sie wie Michael zum Dieb werden, wenn Sie es müssten?

Ich glaube, dass wir alle einen Punkt haben, an dem wir unsere Moral aufs Spiel setzen. Für manche ist es eine sehr niedrige, selbstbezogene Schwelle, für andere trifft es dann ein, wenn Liebe die Logik außer Kraft setzt. Ich glaube jedoch, dass dieser Punkt für die meisten dann erreicht ist, wenn eine Frage auf Leben und Tod eintrifft, in der wir alles tun werden, um die zu retten, die wir lieben.

Viele Ihrer Themen beziehen sich auf christliche Überlieferungen. War das gewollt oder einfach praktisch?

Ich wuchs in einem religiösen Haushalt auf und habe Religion immer schon als interessant empfunden, da sie die Grundlage unserer Moral und Werte bildet. Ich predige nie in meinen Romanen, aber ich berühre den Glauben, egal ob es sich um den Glauben an das Göttliche handelt, den, den wir in unsere Freunde setzen oder – am meisten – den, den wir an uns selbst haben.

Für manche kann Religion als Mythos/Legende/Folklore erscheinen, während sie für andere der Kern ihres Wesens ist. Ich glaube jeder glaubt an etwas – sei es das Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus oder Elvis. Selbst ein Atheist besitzt den Glauben an Wissenschaft und Logik. Während ihres Lebens erforschen sehr viele ihren Glauben: Sie bewegen sich davon weg, rücken ihm näher, hinterfragen ihn – aber wenn sie sich dem Tod nähern, nehmen viele ihre Religion an und finden in ihr ihren letzten Trost. Das Ergebnis ist, dass es dort äußerst viel Geschichte gibt, auf die man sich beziehen kann, so viele Themen, mit denen sich die Menschen identifizieren können, und so viele Rätsel, die neugierig machen.

Ich habe gelesen, dass einige Ihrer Bücher als Filme umgesetzt werden sollen. Wie sieht die aktuelle Entwicklung aus und inwieweit werden Sie mit einbezogen?

„Die 13. Stunde“ wird bei New Line Cinema/Warner Brothers entwickelt, und ich arbeite mit Shane Salerno an „Der Dieb der Finsternis“. Shane schrieb „Armageddon“, „Die phantastische Reise“ (Fantastic Voyage) für James Cameron oder „Hawaii Five-0“, sowie eine lange Liste anderer Erfolge. Wir hoffen, dass wir beide innerhalb der nächsten drei Jahre in die Kinos bekommen können.

„Der Dieb der Finsternis“ wird im September 2012 in Deutschland veröffentlicht werden. Im Englischen ist bereits ein neues Buch von Ihnen erschienen: „Half-past Dawn“. Worum geht es darin, da es scheinbar nicht mit Ihrer Michael St. Pierre-Serie verbunden ist?

Ich schrieb „Half-past Dawn“ als eine persönliche Herausforderung, um zu sehen, ob ich mich selbst im Ungewissen zu lassen konnte, während ich etwas Neues und Anderes erschuf. Autoren haben die Verantwortung, den Lesern immer einen großartigen Ritt zu servieren, eine Geschichte, die ihr Interesse wachhält, während man gleichzeitig originell ist, um sicherzustellen, dass die Leser für ihr Geld etwas Gutes erhalten. Wie mit allen meiner Geschichten verläuft die Handlung nie so, wie man es vermutet, obwohl sie sich auf eine halsbrecherische Achterbahnfahrt begibt und genauso viel Spaß verspricht wie „Die 13. Stunde“. Und es gibt ein Ende, das zum Nachdenken anregt.

Als der Staatsanwalt Jack Keeler beim Aufwachen die falsche Schlagzeile liest, dass er und seine Frau Mia getötet worden seien, hat er nur bis zum nächsten Tagesanbruch Zeit, um ein uraltes Rätsel zu lösen, das sich in den Tiefen eines des am besten bewachten Gefängnisses des Landes befindet.

„Half-Past Dawn“ ist ein Thriller, der verschiedene Zeiten umspannt und ein asiatisches Volk aus der Legende, einen Attentäter, der sich nicht stoppen lassen wird, sich für das über ihn verhängte Todesurteil zu rächen, und ein Tagebuch beinhaltet, dessen Inhalt die Zukunft vorhersagen könnte. Es findet ein Rennen am Rand der Grenzen von Leben und Tod, Wahnsinn und Vernunft und Träumen und Realität statt.

24 Stunden, um seine Frau zu finden, 24 Stunden, um seine Kinder zu finden, 24 Stunden, bevor das Schicksal Keeler einholt … und den Rest der Welt.

Und an dieser Stelle der Hinweis, dass „Half-past Dawn“ 2013 in Deutschland veröffentlicht werden wird!

Auch „The Thieves of Legend“ ist für 2012 in den Staaten geplant. Ist Michael ein solcher Lieblingscharakter für Sie, dass Sie nicht genug von ihm bekommen? Es scheint, dass auch wir Leser nicht genug von ihm bekommen, daher freue ich mich bereits darauf.

Ich liebe es, über Michael zu schreiben. Bei dem Leben, das ich führe, will ich immer etwas Neues und Verrücktes ausprobieren, das wirklich meine Fantasie anregt. Da die „The Thieves“-Serie überall auf der Welt so gut aufgenommen wird, habe ich das Gefühl, dafür verantwortlich zu sein, ihn am Leben, am Rennen und auf der Suche nach neuen Abenteuern zu halten.

Muss man die St. Pierre-Geschichten in der richtigen Reihenfolge lesen?

Nein, gar nicht. Ich schreibe jedes Buch so, dass man es einzeln lesen kann. Aber egal, in welcher Reihenfolge man sie liest, man kann mehr über Michael, Buschs und Simons Hintergrundgeschichte erfahren und darüber, wie sie ticken.

Welche Bücher lesen Sie in Ihrer Freizeit?

Ich liebe Ian Fleming, Dr. Seuss, Charles Dickens. Ich mag es, jedes Genre zu lesen und meinen Geist offen zu halten für neue Autoren. Es gibt nichts großartigeres als ein neues Buch zu öffnen und sich stundenlang in einer wunderbaren Geschichte zu verlieren.

Vielen Dank für Ihre Zeit. Ich freue mich auf Ihr nächstes Buch und kann es kaum erwarten!