Sophie Seidel_Interview

Sophie Seidel berichtet in unterhaltsamen Anekdoten aus ihrem Leben als Kellnerin in „Are you finished? No, we are from Norway!„, das im April bei Blanvalet erschien.  Für Lazy Literature hat sie sich die Zeit genommen, ein paar Fragen zu beantworten. (Foto: Copyright Arthur Berent, Fotostudio All Eyes On You)

Liebe Frau Seidel, vielen Dank für die Teilnahme am Interview. Gleich vorweg eine ganz allgemeine Frage: Wie sind Sie eigentlich zum Schreiben gekommen?

Es ist ein Klischee, aber so ist es halt: Ich habe schon als Kind geschrieben. Ich konnte es kaum erwarten, in die Schule zu kommen und lesen und schreiben zu lernen. Bücher faszinierten mich, seit ich denken kann. Deutsch war das einzige Fach in der Schule, das mir Spaß gemacht hat, denn meine Schullaufbahn war ein Desaster.

Sie schreiben auch unter Pseudonym. In welchen Genres sind sie neben dem Sachbuch schriftstellerisch tätig?

Frauenbücher unter dem Pseudonym Nelly Arnold, Krimi, Kinder- und Jugendbücher unter Ranka Keser, Kurzgeschichten, Kolumnen etc.

Und wie finden Sie neben Ihrem Beruf als Kellnerin die entsprechende Ruhe, um zu arbeiten? Haben Sie ein besonderes Ritual, um sich zu entspannen / auf das Schreiben vorzubereiten?

Ich brauche kein bestimmtes Ritual (nur Musik) und auch keine große Vorbereitung. Wenn andere vor der Glotze sitzen, dann sitze ich vor dem Schreibtisch. Das Schreiben ist für mich nicht nur Arbeit, sondern auch ein Ventil. Wenn ich mehrere Wochen nicht schreibe (z. B. im Urlaub), dann fehlt mir etwas. Ich sehne mich danach.

Sie arbeiten mittlerweile nicht mehr im „Bräufassl“, aber in einem urig bayrischen Lokal – haben Sie von Ihren dortigen Gästen neue Anekdoten zu berichten?

Gast: „Ich nehme das Mittagsangebot Leberkäs mit Spiegelei, für 6,90 €. Aber statt dem Spiegelei hätte ich gerne einen gemischten Salat und statt dem Leberkäs‘ hätt ich gerne ein Steak.“
Kollege: „Das ist doch nicht Ihr Ernst?“
Gast: „Wieso? Geht das nicht?“
Kollege: „Wir haben Steak auf der Karte, aber das kostet 16,90 €“
Gast: „Das ist mir aber zu teuer.“

Sie berichten immer wieder von den unterschiedlichen Reaktionen der Menschen, die erfahren, dass Sie Ihr Geld als Kellnerin verdienen. Wie gehen Sie damit um?

Leute mit begrenztem Horizont finden immer etwas, wodurch sie meinen, sich abheben zu können. Sei es durch Beruf, Status, Herkunft, Nationalität … Solche Leute finde ich langweilig, von denen kann man nichts lernen. Ich habe in meinem Leben Menschen mit ganz unterschiedlichem Background getroffen; meine Freundschaften gehen vom Sozialhilfeempfänger zum Millionär. Es gibt Halb-Analphabeten, die mehr Lebensweisheit im kleinen Finger haben, als Akademiker in der ganzen Hand. Ich kenne Reiche, die ein Herz haben wie ein Heiliger. Beruf und Status sagen über einen Menschen wenig aus. Wenn also jemand meint, er stehe über mir, weil ich ihm seinen Schweinsbraten hinstelle, dann ist das sein Problem, nicht meins.

Gibt es etwas, das Sie am Kellnerberuf nicht mögen? Gibt es Unterschiede zu früher und heute?

In den letzten 30 Jahren hat sich diese Arbeit teilweise zum Negativen verändert, durch die Chefs, wie auch durch die Gäste. Es gibt immer mehr Lokale, in denen sich der Chef das Geld für das Reinigungspersonal spart, was bedeutet, dass Küche und Service mit fegen, putzen, schrubben zusätzlich beschäftigt sind (natürlich kostenlos!). Ebenso wird erwartet, dass man von seinem Trinkgeld etwas an Küche oder Schankkellner abgibt – einen festen Betrag oder einen Prozentsatz vom Umsatz. Die Umsatzbeteiligung ist ebenfalls geschrumpft, von 10% auf 8%, manche Betriebe zahlen noch weniger.

Das Verhalten der Gäste hat sich auch verändert. Mein Kollege sagte kürzlich: „Die Leute wollen immer mehr, für immer weniger Geld.“ Im Klartext: Die Gäste sind fordernder und überheblicher geworden, geben aber weniger Trinkgeld. In den Achtzigern und Neunzigern habe ich immer 10% Trinkgeld gehabt. Das passiert heute nur noch selten. Oft sind es nur 5% (und davon muss man noch etwas abgeben), und immer mehr Gäste geben einfach gar nichts. Viele Leute haben früher gekellnert, weil man trotz harter Arbeit eben auch gut verdient hat. Der Verdienst ist heute in diesem Beruf nicht mehr attraktiv. Es gibt aber auch noch Betriebe, die eine anständige Personalpolitik betreiben, man muss eben suchen …

Was wünschen Sie sich von Ihren Gästen, die an Ihrem Arbeitsplatz speisen und trinken?

Am liebsten sind uns Gäste, die einfach nur einen schönen Aufenthalt haben möchten, die entspannt und nett sind – jedenfalls keine Ich-zahle-also-bin-ich-Gäste.

Was wünschen Sie sich von Ihrem Kellner, wenn Sie ein Lokal besuchen?

Ich schätze aufmerksamen und höflichen Service, lege aber keinen Wert darauf, hofiert zu werden. Höflichkeit ist das A und O eines Kellners, aber ich mag kein Katzbuckeln, weil es etwas mit Klassendenken zu tun hat.

Es sind zwar Floskeln, aber dennoch gehört es zum guten Ton eines Kellners, noch einen schönen Abend zu wünschen. Ein NO-GO finde ich, wenn der Kellner zu Anfang an den Tisch kommt und den Mund nicht aufkriegt. „Hallo. Wissen Sie schon, was Sie trinken möchten?“ statt kucken und abwarten.

Was ich als Gast nicht mag, ist, wenn ich der Bedienung dabei zusehen darf, wie sie mit ihrem Handy beschäftigt ist.

Haben Sie eine bayrische Lieblingsspeise?

Steckerlfisch
Semmelschmarrn
Dampfnudel

Haben Sie vor, weitere Bücher über Ihre Erfahrungen in der Gastronomie zu schreiben?

Vielleicht. Ich habe noch viel Stoff. 🙂

Vielen Dank!